Europäischer Forschungsrat fördert Studie zu „Drug Repurposing“ am DZNE
Göttingen, 2. März 2022. Prof. Markus Zweckstetter, Wissenschaftler am DZNE-Standort Göttingen, erhält vom Europäischen Forschungsrat (ERC) 150.000 Euro, um in Laborstudien potenzielle Arzneimittel gegen die Alzheimer-Erkrankungen zu testen. Dabei sollen zwei Substanzen untersucht werden, die das Verklumpen sogenannter Tau-Proteine behindern. Ziel des über einen „Proof-of-Concept-Grant“ geförderten Projektes ist es, einen aussichtsreichen Wirkstoffkandidaten für klinische Studien am Menschen zu finden.
In den Gehirnen von Menschen mit Alzheimer verkleben Eiweißstoffe zu winzigen Klumpen: Während sich außerhalb von Nervenzellen Amyloid-Peptide zu sogenannten Plaques zusammenballen, treten innerhalb von Nervenzellen Aggregate eines Proteins namens „Tau“ auf. „Aggregate von Tau-Proteinen gelten als neurotoxisch, darüber hinaus besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Anhäufung von Tau und der Entwicklung und dem Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung. Die Tau-Aggregation wird daher als wichtiger Krankheitsmechanismus angesehen und als mögliches Ziel für Therapien. Hier setzen unsere Untersuchungen an“, sagt Markus Zweckstetter. „Ein effektives Mittel gegen Tau-Aggregation hätte breites Anwendungspotenzial. Denn Tau-Aggregate treten nicht nur bei Alzheimer auf, sondern auch bei einer ganzen Reihe weiterer neurodegenerativer Erkrankungen.“
Erweiterung des Einsatzspektrums
In früheren Studien konnte der Göttinger Biophysiker gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen zwei chemische Verbindungen identifizieren, die die Aggregation von Tau verhindern und deren Wirkung sie nun genauer untersuchen wollen. Beide Substanzen sind sogenannte niedermolekulare Verbindungen, chemisch gesehen daher vergleichsweise einfach. „Wir haben ein Patent beantragt, weshalb ich nicht näher auf diese Stoffe eingehen kann. Beide Substanzen sind jedoch in klinischen Studien am Menschen erprobt, eine davon sogar in den USA und der EU als Arzneimittel zugelassen. Allerdings nicht für die Behandlung von Alzheimer oder anderer neurodegenerativer Erkrankungen“, so Zweckstetter. „Die bereits zugelassene Substanz halten wir für besonders vielversprechend, weil schon nachgewiesen wurde, dass sie ins Gehirn gelangen kann. Bei dem anderen Wirkstoff weiß man das noch nicht. Das werden wir im Rahmen unseres Projektes untersuchen.“
Zweckstetter ergänzt. „Was wir anstreben, nennt man Drug Repurposing. Es geht darum, den Anwendungsbereich eines schon zugelassenen Arzneistoffes zu erweitern. Der Vorteil dieses Ansatzes liegt darin, dass bereits belegt ist, dass Menschen den Wirkstoff gut vertragen.“
Kleine Tröpfchen
Untersuchungen des Teams um Zweckstetter lassen vermuten, dass die beiden Substanzen einen physikalischen Vorgang stören, der „Flüssig-Flüssig-Phasentrennung“ genannt wird. „Dieses Phänomen führt dazu, dass sich Tau-Proteine auf engstem Raum konzentrieren. Dabei entstehen innerhalb der Zellflüssigkeit winzige Tröpfchen mit Tau-Proteinen. Diese Tröpfchenbildung ist nach unserer Einschätzung eine Voraussetzung für Aggregation. Stört man die Bildung solcher Tröpfchen, verhindert man auch, dass Tau-Proteine verklumpen. Genau das machen die Wirkstoffe, die wir gefunden haben. Es sind letztlich Aggregationsinhibitoren“, so Zweckstetter.
In Laborexperimenten und auch in Zellkulturen konnten die Göttinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diesen Effekt für jeden der beiden Wirkstoffkandidaten nachweisen. Auch an Fruchtfliegen testeten sie die Wirkung der Verbindungen. Die untersuchten Insekten produzierten infolge eines Genmutation zu viele Tau-Proteine. Daraus folgende Nervenschäden fielen jedoch geringer aus, wurden die Wirkstoffe dem Fliegenfutter beigemischt.
Basis für klinische Erprobung
Mit der Förderung des ERC wird die Wirkung der beiden Verbindungen nun unter weiteren Bedingungen unter die Lupe genommen. Zweckstetters Team kooperiert dafür mit Kolleginnen und Kollegen des DZNE-Standorts Bonn. Im Rahmen der geplanten Studien werden die Substanzen an Mäuse verabreicht, deren Organismen aufgrund einer bestimmten genetischen Konstellation – ähnlich wie bei den bereits untersuchten Fruchtfliegen – Tau-Proteine im Übermaß herstellen. Diese Überproduktion führt zu Hirnschäden, die den Auswirkungen einer Alzheimer-Erkrankung ähnlich sind. „Wir werden uns anschauen, ob eine Behandlung kognitive Ausfallerscheinungen lindert. Sollte das eintreten, hätte man eine solide Grundlage für klinische Studien am Menschen. Wenn es soweit kommt, wollen wir mit einem Pharma-Unternehmen kooperieren, denn Arzneimittelstudien erfordern Ressourcen aus der Industrie“, sagt Zweckstetter.