Aktuelle Befunde geben Anti-Amyloid-Therapien Rückendeckung
Magdeburg, 30. März 2022. Im Zuge einer Alzheimer-Erkrankung sammeln sich die Eiweißstoffe „Amyloid“ und „Tau“ im Gehirn. Eine Studie des DZNE mit mehr als 200 Teilnehmenden liefert jetzt Erkenntnisse über das Zusammenspiel dieser pathologischen Phänomene. Die Daten deuten darauf hin, dass die Belastung des Gehirns mit Tau Gedächtnisfunktionen nur dann beeinträchtigt, wenn gleichzeitig auch die Amyloid-Last hoch ist. Diese Befunde stützen daher Therapie-Ansätze, die darauf abzielen, in Frühstadien der Alzheimer-Erkrankung das Amyloid aus dem Gehirn zu entfernen. Ein Forschungsteam um Prof. Emrah Düzel berichtet darüber im Fachjournal „Brain“.
„Seit langem ist bekannt, dass Ablagerungen von Tau-Proteinen im sogenannten Hippokampus und in benachbarten Hirnbereichen das Erinnerungsvermögen beeinträchtigen. Beim Amyloid hingegen hat man bislang keinen eindeutigen Zusammenhang zur Gedächtnisleistung gefunden. Unter anderem deswegen wird diskutiert, ob es überhaupt Sinn macht, das Amyloid therapeutisch anzugehen. Unsere aktuellen Ergebnisse deuten darauf hin, dass dies in den frühen Stadien der Erkrankung für die Gedächtnisfunktion tatsächlich hilfreich sein könnte“, sagt Hirnforscher Emrah Düzel, Sprecher des DZNE-Standorts Magdeburg und Direktor des Instituts für Kognitive Neurologie und Demenzforschung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. „Der entscheidende Aspekt ist, dass man das Tau nicht allein betrachtet, sondern gemeinsam mit der Amyloid-Pathologie. Hier wird eine Verknüpfung deutlich, wenn man eine größere Anzahl an Personen untersucht.“
Datenerhebung an mehreren Standorten
Die jetzt ausgewerteten Daten stammen aus einer Langzeitstudie des DZNE (DELCODE) in Zusammenarbeit mit Universitätskliniken, an der bundesweit zehn Studienzentren mitwirken. In die aktuellen Untersuchungen flossen Befunde von 235 Personen im Alter über 60 Jahre ein. Diese Gruppe umfasste neben kognitiv unauffälligen Erwachsenen, auch solche mit Gedächtnisproblemen, die entweder leichter Ausprägung waren („leichte kognitive Störung”) oder nur subjektiv empfunden wurden – das heißt: Gängige Testverfahren konnten die Gedächtnisprobleme nicht nachweisen. Daten von Personen mit Demenz wurden nicht berücksichtigt, denn der Fokus lag auf Frühstadien der Alzheimer-Erkrankung. Das Team um Düzel analysierte den Liquor – auch „Nervenwasser“ genannt – der Probanden und untersuchte deren Gedächtnis und Hirnaktivität mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT).
Die Konzentrationen von Amyloid- und Tau-Proteinen im Nervenwasser sind gängige Indikatoren, um die Belastung des Gehirns durch diese Proteine einzuschätzen. Da Amyloid- und Tau-Proteine auch bei gesunden Menschen im Nervenwasser vorkommen, wurden die Probanden anhand etablierter Schwellenwerte eingeteilt in solche mit pathologischen, also auffälligen Befunden, und solche mit Werten im Normalbereich. Für die Untersuchung des Gedächtnisses mittels fMRT erhielten die Studienteilnehmenden die Aufgabe, sich fotografische Abbildungen zu merken, während gleichzeitig die Hirnaktivität im Hippokampus – der Schaltzentrale des Gedächtnisses – erfasst wurde. „Mit Hilfe dieses Task-fMRT haben wir festgestellt: dass die Aktivierung des Hippokampus bei neuen Bildern mit steigender Tau-Last zurückging, und damit auch die Gedächtnisleistung, allerdings nur wenn gleichzeitig die Amyloid-Belastung hoch war. Anders gesagt: Eine hohe Belastung durch beide Proteine war die wahrscheinliche Ursache für eine beeinträchtigte Gedächtnisleistung“, so Düzel. „Diesen Zusammenhang hat man in bisherigen Untersuchungen nicht nachweisen können. Die dafür notwendige technische Harmonisierung über verschiedene Studienstandorte hinweg ist sehr aufwändig. Solche Studien erfordern eine Infrastruktur, wie sie das DZNE über Jahre aufgebaut hat.“
Rückendeckung für Anti-Amyloid-Therapien
„Unseren Daten zeigen verschiedene, relevante Zusammenhänge. Liegt die Amyloid-Konzentration jenseits des pathologischen Grenzwertes, und nur dann, sehen wir, dass die Gedächtnisleistung umso schlechter und die Aktivitätseinbußen im Hippokampus umso ausgeprägter sind, je höher die Tau-Werte im Nervenwasser sind“, so Düzel weiter. „Und wir sehen auch: Vergleicht man Studienteilnehmende mit ähnlichen Tau-Daten, dann ist die Gedächtnisleistung bei jenen mit auffälligen Amyloid-Werten stärker beeinträchtigt, als bei denjenigen mit Amyloid-Werten im Normbereich.“ Die Ursachen des Zusammenspiels von Amyloid- und Tau-Pathologie sind noch weitgehend unverstanden, räumt Düzel ein, zieht jedoch das Fazit: „Unsere Daten zeigen, dass es sinnvoll sein könnte, die Tau-Last zu senken, wenn gleichzeitig die Amyloid-Last hoch ist. Unsere Befunde sprechen aber auch dafür, dass es helfen könnte, die Amyloid-Last im frühen Krankheitsstadium zu reduzieren beziehungsweise niedrig zu halten, auch wenn die Tau-Last gleich bleibt. Man kann aus unseren Ergebnissen ableiten, dass das Gedächtnis davon profitieren könnte.“
Hier setzen Anti-Amyloid-Therapien mittels „monoklonaler Antikörper“ an, die sich aktuell in der klinischen Erprobung befinden und von denen es mit dem Wirkstoff „Aducanumab“ (Markenname: Aduhelm) in den USA eine erste Zulassung gibt. Die ist allerdings umstritten. Düzel: „Unabhängig davon, wie gut dieser spezielle Arzneistoff klinisch wirksam ist, stützen unsere Studienergebnisse das grundsätzliche Konzept, das Amyloid einzudämmen. Diesen Ansatz sollte man in der Therapie-Entwicklung weiterhin beachten.“