Anmerkungen des DZNE zum Nature-Paper von Jaunmuktane et al.

zum Paper:
Evidence for human transmission of amyloid-b pathology and cerebral amyloid angiopathy
(Zane Jaunmuktane et al.; doi:10.1038/nature15369)

Bonn, 10. September 2015. Ist Alzheimer eine Infektionskrankheit? John Collinge und Sebastian Brandner in London haben Gehirne von Menschen untersucht, die an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) verstorben waren. Diese waren wegen Wachstumsstörungen in der Kindheit mit Wachstumshormonen behandelt worden, die bis 1985 aus Hypophysen-Extrakt von Gehirnen Verstorbener gewonnen wurden. Seit 1985 werden die Wachstumshormone biotechnisch hergestellt.

Zum Erstaunen der Forscher des aktuellen Artikels besaßen die untersuchten Gehirne zusätzlich zu den typischen Merkmalen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) auch Ablagerungen von Beta-Amyloid in den Blutgefäßen des Gehirns. Der zusätzliche Fund von Beta-Amyloid hat nun die Hypothese angeregt, dass Alzheimer eine potenziell infektiöse Krankheit sein könnte. Allerdings sprechen einige gewichtige Gründe dagegen:

  1. Der wichtigste Punkt gleich zu Beginn: Der direkte Kontakt mit Alzheimerpatienten oder deren Pflege sind ohne Risiko! Daran ändern auch die Ergebnisse des aktuellen Artikels nichts.
    (Argumente dafür finden sich in den folgenden Anmerkungen…)
  2. In einem Pressegespräch hat Dr. John Collinge, einer der Autoren und Projektleiter, selbst darauf hingewiesen, dass es sich hier um eine „sehr spezielle Situation“ gehandelt habe. Dabei seien „bestimmte medizinische Prozeduren“ angewendet worden (die heute im klinischen Alltag nicht mehr eingesetzt werden). Es gebe „keinerlei Hinweise“, dass aktuell „ein Risiko für Patienten bei Operationen oder medizinischen Eingriffen“ bestünde.
  3. Die jetzigen Ergebnisse sind sehr vorläufig. Denn zunächst handelt es sich um eine sehr kleine Fallzahl: Acht Personen, die an der sehr seltenen, aber tödlichen CJD gestorben waren. Überdies wurden die Amyloid-Ablagerungen nicht bei allen Obduzierten gefunden: Zusätzlich zu den CJD-induzierten Zerstörungen wiesen vier Personen deutliche und zwei weniger deutliche Ablagerungen von Beta-Amyloid auf.
  4. Es wurde lediglich festgestellt, dass diese Patienten Beta-Amyloid-Ablagerungen in den Blutgefäßen des Gehirns hatten (die sogenannte Zerebrale Amyloidangiopathie), nicht aber, dass sie tatsächlich Alzheimer entwickeln würden. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu erwähnen, dass viele Menschen Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn haben, ohne Alzheimersymptome zu entwickeln. Außerdem ist aus aktuelleren Untersuchungen bekannt, dass Alzheimer eine Erkrankung ist, die sich über viele Jahrzehnte entwickelt, bevor erste Symptome auftreten.
  5. Es fehlt ein wichtiger Bestandteil der Alzheimer-Pathologie. Es fanden sich keine fehlgefalteten Tau-Proteine, die kennzeichnend für Alzheimer sind und vermutlich den Zelltod auslösen.
  6. Außerdem muss zunächst geklärt werden, ob das Beta-Amyloid überhaupt aus dem Hypophysen-Extrakt stammte. Außerdem ist eine spontane Entstehung bei den Betroffenen ebenfalls möglich.
  7. Es gibt keine Vergleiche bezüglich der Beta-Amyloid-Ansammlungen bei Alzheimer und CJD.
  8. Möglicherweise handelte es sich hier um einen Sonderfall, der nur Patienten betraf, die Wachstumshormon aus humanen Quellen erhielten. Da das Wachstumshormon heute biotechnisch hergestellt wird, kann eine potenzielle Gefährdung über diese Präparate ausgeschlossen werden. An dieser Stelle sei angemerkt, dass natürlich allen Verantwortlichen die potenzielle Gefahr von Prionen bekannt ist. Andererseits ist eine Übertragung äußerst selten und geschieht nur unter ganz bestimmten Bedingungen, die im Alltag so gut wie nie auftreten. (Im Fall vom Wachstumshormon wurden diese Bedingungen beispielsweise beseitigt.)
  9. Es gibt aus epidemiologischen Studien keinerlei Hinweise, dass Alzheimer als infektiöse Erkrankung übertragen werden könnte.
  10. Auch Tierversuche deuten nicht auf eine Infektion hin: So können beispielsweise gesunde Mäuse mit „Alzheimer-Mäusen“ für ein Jahr gemeinsam in einem Käfig gehalten werden – und die gesunde Maus entwickelt niemals Alzheimer.
  11. Wenn die Krankheit durch Körperflüssigkeiten oder auf anderen Wegen übertragen würde, gäbe es auch einen Anstieg von Erkrankten bei jüngeren Menschen (unter 60 Jahren). Das ist absolut nicht der Fall.
  12. Es stimmt zwar, dass die Zahl der Alzheimer-Erkrankten in der Bevölkerung absolut zunimmt (Prävalenz, siehe unten). Das liegt aber vor allem daran, dass Altern ein wichtiger Faktor bei Alzheimer ist – und die Menschen immer älter werden. Damit akkumuliert die Gesamtzahl der Betroffenen. Betrachtet man jedoch die Zahl der Neuerkrankungen innerhalb einer Altersgruppe (Inzidenz), nimmt die Häufigkeit von Alzheimer sogar ab. Dies wäre extrem unwahrscheinlich, wenn Alzheimer tatsächlich ansteckend wäre.

Natürlich sind die Ergebnisse der Studie interessant, da sie einen speziellen Erkrankungsmechanismus beschreiben. Die Resultate müssen nun in weiteren Experimenten im Labor und durch Beobachtungen in klinischen Studien überprüft werden. Vor allem sollten deshalb jetzt Menschen untersucht werden, die in ihrem Leben mit Wachstumshormonen behandelt wurden – speziell vor 1985 mit entsprechenden Extrakten. Dabei ist es auch sinnvoll, die Extrakte zu untersuchen, mit der die Behandlung damals stattfand. Allerdings ist unklar, ob noch in allen Fällen Proben vorliegen.

Hintergrund:

CJD

Weltweit sind (laut John Collinge) rund 30.000 Menschen mit Wachstumshormon behandelt worden – davon 1800 in Großbritannien. 77 der britischen Patienten sind inzwischen an CJD verstorben. Rund 1500 leben noch. Da CJD eine Inkubationszeit von 30, 40 und mehr Jahren hat, könnten einige der Letztgenannten noch CJD entwickeln.

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