Bonn, 3. Dezember 2012. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) beteiligen sich an einem internationalen Forschungsprojekt über die Ursachen seltener Hirn- und Muskelleiden. Der Bonner Standort des DNZE erhält dafür in den nächsten fünf Jahren 470.000 Euro. Das Vorhaben mit dem Namen „NEUROMICS: Integrated European Project on Omics Research of Rare Neuromuscular and Neurodegenerative Diseases“ wird aus dem Fonds des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms finanziert. Beteiligt sind Partner aus Europa, Australien, Kanada und den USA. „Solch eine konzertierte Aktion in diesem Umfang ist einzigartig“, sagt Prof. Thomas Klockgether, Direktor für Klinische Forschung am DZNE. In Bonn wird die Untersuchung von Patienten sowie von gesunden Menschen mit einem erhöhten Krankheitsrisiko im Vordergrund stehen. „Wir erhoffen uns davon neue Erkenntnisse über die Ursachen dieser Erkrankungen und auch Impulse für Diagnose und Therapie“, so Klockgether.
NEUROMICS widmet sich einer Reihe von Erkrankungen des Gehirns und Bewegungsapparates, die als „selten“ klassifiziert sind. Gleichwohl sind europaweit insgesamt mehr als eine halbe Million Menschen betroffen – mit Auswirkungen wie Lähmungen, Muskelzittern, Gedächtnisverlust und auch Demenz. Diese seltenen „neurodegenerativen“ beziehungsweise „neuromuskulären“ Störungen können bislang nur eingeschränkt behandelt werden. Auch ihre Ursachen sind wenig erforscht. „Die Übergänge zwischen den Krankheiten sind allerdings fließend und in der Untersuchungsmethodik gibt es praktisch keine Unterschiede“, erläutert Klockgether. „Deshalb macht es Sinn, diese Erkrankungen in einem gemeinsamen Projekt anzugehen.“
Krankheiten gelten als „selten“, wenn sie sich auf weniger als fünf unter zehntausend Menschen auswirken. Schätzungen zufolge gibt es 6.000 bis 8.000 solcher Erkrankungen. Zehn davon stehen im Fokus von NEUROMICS: Beispielsweise Chorea Huntington, die mit Störungen der Motorik und Psyche einhergeht, oder die Gruppe der Muskeldystrophien, in deren Folge sich Muskeln zurückbilden. „Für diese Auswahl gibt es verschiedene Gründe“, so Klockgether. „Einerseits sollten die Krankheiten repräsentativ sein, also mit einer gewissen Häufigkeit auftreten. Anderseits erfordern die Untersuchungen langjährige Vorerfahrung und eine Infrastruktur, die nur bei bestimmten Krankheiten vorhanden ist.“ Das betreffe insbesondere die Möglichkeit, bestehende Patientengruppen in die Studien einzubeziehen. „Ein solcher Personenkreis muss bereits vorhanden sein. Er lässt sich nicht ad hoc aufbauen“, unterstreicht der Neurowissenschaftler.
Bonner Schwerpunkt: Bewegungsstörungen
Die Forscher des DZNE steuern zu NEUROMICS insbesondere ihre Expertise im Bereich der „Ataxien“ bei. Betroffene können ihre Muskeln nur eingeschränkt kontrollieren, außerdem leiden sie unter Störungen des Gleichgewichts und des Sprachvermögens. Auslöser dafür sind Schäden am Hirn und Rückenmark, die auf eine Vielzahl von Erkrankungen zurückgehen können. Klockgether, auch Sprecher des Zentrums für Seltene Erkrankungen an der Universität Bonn, behandelt mit seinem Team derzeit mehrere hundert solcher Patienten.
Ein Aspekt von NEUROMICS ist es, Personen zu untersuchen, die keine Symptome zeigen, die jedoch aufgrund einer genetischen Veranlagung ein erhöhtes Krankheitsrisiko tragen. „Das kann zum Beispiel bei Verwandten der Fall sein“, erläutert Klockgether. „Deshalb hoffen wir, dass sich Angehörige unserer Patienten bereit erklären, bei diesen Studien mitzumachen.“
Vielfalt an Methoden
Störungen des Nervensystems entwickeln sich über einen langen Zeitraum. Deshalb könnte es bereits Jahre vor einer offensichtlichen Erkrankungen auffällige Befunde geben, so Klockgether. „Wir haben uns daher vorgenommen, gesunde Personen mit einem erhöhten Krankheitsrisiko so umfassend wie möglich zu untersuchen.“ Die Bonner Forscher nutzen dafür diverse Verfahren: neben der Magnetresonanz-Tomographie (MRT) – sie liefert detaillierte Innenansichten des Gehirns – zählen dazu auch Tests der Motorik und der kognitiven Fähigkeiten.
Von den in Bonn untersuchten Personen werden überdies Blutproben genommen und im Rahmen der internationalen Kooperation von Projektpartnern analysiert. Zum Einsatz kommen dabei neueste Technologien der Gen- und Proteinanalyse. Sie werden zusammenfassend „Omics-Technologien“ genannt – was sich im Projektnamen NEUROMICS widerspiegelt. Auf diese Weise sollen insbesondere sogenannte Biomarker aufgespürt werden. Diese Indikatoren, die sich beispielsweise aus dem Blutbild, dem Genom aber auch aus MRT-Untersuchungen ablesen lassen, können auf eine Erkrankung hinweisen, auch wenn diese noch nicht offensichtlich ist. Deshalb sind Biomarker für die Früherkennung von großer Bedeutung.
Außerdem wollen Klockgether und seine Kollegen Ursachenforschung betreiben: „Manche dieser seltenen Krankheiten sind bekanntermaßen vererbbar“, sagt der Neurowissenschaftler. „Aber wir kennen noch nicht alle Gene, die hier von Bedeutung sind. Ein konkretes Ziel von NEUROMICS ist es, solche Gene zu finden und damit die molekularen Auslöser dieser Erkrankungen besser zu verstehen. Hieraus können Ansätze für eine Therapie entstehen.“
Weitere Informationen: www.rd-neuromics.eu