Bonn/Ulm, 29. Juni 2012. Frontotemporale Demenz (FTD) und Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) sind zwei degenerative Krankheiten des Nervensystems. Um die Forschung in diesem Bereich zu stärken, gibt es jetzt das neue virtuelle Helmholtz-Institut „RNA Dysmetabolismus in ALS und FTD“. Darin kooperiert das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) eng mit der Universität Ulm. Das virtuelle Institut wird am DZNE-Standort Dresden koordiniert, Sprecher ist Prof. Gerd Kempermann.
Als internationale Partner sind die Universitäten in Umeå (Schweden) und Straßburg (Frankreich) beteiligt. Das Institut ist eine von elf neuen virtuellen Einrichtungen, die ab 1. Juli von der Helmholtz-Gemeinschaft mit insgesamt 30 Millionen Euro gefördert werden. Die einzelnen Institute erhalten über drei bis fünf Jahre jährlich bis zu 600.000 Euro aus dem Impuls- und Vernetzungsfonds. Dazu kommen substanzielle Eigenmittel der Zentren – im Falle des DZNE 625.000 Euro für fünf Jahre.
„Wir freuen uns über die Zusage“, so Prof. Pierluigi Nicotera, wissenschaftlicher Vorstand und Vorstandsvorsitzender des DZNE. Die Universität Ulm sei international die wichtigste klinische Forschungsinstitution auf dem Gebiet FTD und ALS, betont Nicotera. „Mit ihr und unseren internationalen Partnern bietet diese Kooperation die besten Bedingungen, um neue Wege für die Diagnose und Therapie zu entwickeln.“
„Auch bei uns ist die Freude über die Zusage der Helmholtz-Gemeinschaft groß“, meint Prof. Albert Ludolph, Leiter des Instituts für Neurologie an der Universität Ulm und ärztlicher Direktor der Klinik für Neurologie des Uniklinikums Ulm. „Wir arbeiten bereits sehr lange auf dem Gebiet der FTD und ALS-Erkrankungen. Unsere Expertise reicht von der Grundlagenforschung bis zur hoch-spezialisierten Pflege der Patienten.“ Die Biobank des Instituts fasse über 4.000 spezifische Nervenzelllinien und über 1.000 Blut- und Liquorproben. Ludolph weiter: „Mit unseren assoziierten Partnern aus Umeå und Straßburg besitzen wir sicher eine der größten Biobanken für die Erforschung der FTD und ALS-Krankheit.“
FTD ist nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste Demenzform bei den unter 65-jährigen. Sie führt u.a. zu Veränderungen der Persönlichkeit und des sozialen Verhaltens. ALS ist in den Augen der Öffentlichkeit eine eher seltene neurodegenerative Erkrankung, tatsächlich trifft sie aber einen unter 300 bis 400 Deutschen. Die Krankheit führt zu einer schnell voranschreitenden Muskelschwäche. Bisher werden ALS und FTD vornehmlich an den DZNE-Standorten Dresden, München und Tübingen untersucht. Allerdings hat das DZNE seit seiner Gründung 2009 die Forschungen in den Bereichen FTD und ALS ständig ausgebaut. In Dresden und Tübingen finden derzeit erste klinische Studien mit Probanden statt, bei denen Veränderungen im Erbgut zu ALS und FTD führen. Gemeinsam mit der Universität Tübingen hat das DZNE im Juni Prof. Manuela Neumann als neue Professorin für den Forschungsbereich rekrutiert.
Bereits vor einiger Zeit konnten Forscher zeigen, dass den Erkrankungen ALS und FTD ein ähnlicher Mechanismus zugrunde liegt. Dabei spielen DNA-/RNA-bindende Proteine eine wichtige Rolle. Aktuelle Forschungen haben gezeigt, dass Störungen bei der Kopie der Erbinformation DNA in die Abschrift RNA eine mögliche Ursache der beiden Erkrankungen sind. Die RNA-Abschrift dient dazu, die Erbinformation in ein Protein zu übersetzen, welches wichtige Funktionen in der Nervenzelle übernimmt. Störungen bei der Abschrift führen dazu, dass dieses Protein seine Aufgabe nicht mehr richtig wahrnehmen kann. Bekannt ist zudem, dass Mutationen in verschiedenen Proteinen, die diese RNA binden, mit familiären Formen von FTD und ALS in Verbindung stehen.
Ziel des neuen virtuellen Instituts ist jetzt, Mechanismen aufzuklären, die diese Störungen im RNA-Stoffwechsel hervorrufen. Letztlich soll damit geklärt werden, welche Folgen das für die Funktion der Nervenzellen hat. Dabei nehmen die Wissenschaftler vor allem den Stoffwechsel und die Bildung neuer Synapsen genauer unter die Lupe. Beide spielen eine wichtige Rolle für die Nervenzellen und können die Ursache für einen Funktionsverlust und das Absterben von Nervenzellen und damit für neurodegenerative Erkrankungen sein.
Seit 2007 richtet die Helmholtz-Gemeinschaft virtuelle Institute ein. In diesen kooperieren Helmholtz-Zentren mit Hochschulen und internationalen Partnerinstitutionen. Ziel ist, neue Forschungskooperationen aufzubauen, um einen erkennbaren Mehrwert zu größeren strategischen Forschungsvorhaben zu leisten. Darüber hinaus soll die Fördermaßnahme zur Stärkung der Hochschulen beitragen. Im Rahmen der bisherigen fünf Ausschreibungsrunden wurden bzw. werden mit insgesamt fast 100 Millionen Euro 99 Virtuelle Institute gefördert, an denen 326 Partner von 61 deutschen Hochschulen beteiligt sind.