München/Bonn 06.Juli 2010 – Ein Forscherteam um Professor Christian Haass und Dr. Dorothee Dormann, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und LMU München, konnte erstmals zelluläre Mechanismen identifizieren die zu Erkrankungen wie der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) oder der Frontotemporalen Demenz (FTD) führen. ALS geht mit zunehmender Muskelschwäche und Lähmungen einher. Patienten mit FTD leiden unter Sprach- und Gedächtnisstörungen. Proteine, die normalerweise wichtige Aufgaben im Zellkern erfüllen, sammeln sich bei diesen Erkrankungen im Zellkörper der Nervenzellen an – und führen dort zu krankhaften Ablagerungen. Das Team um Haass konnte jetzt zeigen, dass die Ursache ein gestörter Transport dieses Proteins ist. Damit können die Forscher den Entstehungsmechanismus von ALS und FTD besser verstehen. Ihre Ergebnisse erscheinen heute im EMBO Journal.
Bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) führt eine irreversible Schädigung der für die Bewegung zuständigen Motoneurone zu einer progressiven und schnell voranschreitenden Muskelschwäche. Das verursacht Störungen beim Gehen, Sprechen und Schlucken sowie eine Atemlähmung. Bei der Frontotemporalen Demenz, der nach der Alzheimerschen Erkrankung zweithäufigsten Demenz, bewirkt der massive Abbau von Nervenzellen im Stirnhirn schwere Veränderungen der Persönlichkeit und häufig auch Gedächtnisstörungen. ALS und FTD - zwei Erkrankungen, die ganz unterschiedliche Beschwerden hervorrufen, in ihren molekularen Ursachen jedoch sehr ähnlich sind. Etwa zehn Prozent der ALS-Patienten leiden unter familiärer ALS, die dominant vererbt und an alle Nachkommen weitergegeben wird. Mutationen des TDP-43-Gens und dem FUS-Gen sind bei einer kleinen Zahl der Fälle wichtig. Beide Gene kodieren für wichtige Proteine, das TDP-43 und das FUS-Protein. „Die Proteine scheinen aber bei sehr viel mehr Fällen eine Rolle zu spielen – wie auch bei der Frontotemporalen Demenz“, sagt Professor Christian Haass von der LMU München und vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).
Beim gesunden Menschen befindet sich die Mehrzahl dieser Moleküle im Zellkern der Neurone und hilft dort bei der Übertragung genetischer Information in Proteine. In den Nervenzellen von ALS- oder FTD-Patienten sammeln sich die Proteine aber im Zellkörper und bilden dort krankhafte Ablagerungen. „Bislang war unbekannt, warum derartige Stress-Körnchen entstehen“, so Haass. Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Instituts für Neuropathologie in Zürich, dem Leibniz-Institut für Altersforschung in Jena und dem Vancouver General Hospital in Vancouver (Kanada) untersuchte sein Team deshalb, welche zellulären Mechanismen das FUS-Protein bei ALS im Zellkörper akkumulieren lassen. Dabei konnten die Wissenschaftler erstmals nachweisen, dass die bereits bekannten genetischen Defekte den „Adresscode“ von Proteinen betreffen: Bei ALS ist dieses Signal so stark verändert, dass die FUS-Proteine nicht in den Zellkern gelangen, sondern im Zellkörper verbleiben. Das hat fatale Folgen, denn im Zellkern haben sie wichtige Aufgaben inne. Sie helfen bei der Bildung anderer Proteine.
Die Forscher konnten zudem einen Zusammenhang zwischen der Schwere der genetischen Beeinträchtigung und dem Erkrankungsalter sowie dem Schweregrad von ALS beobachten. Eine späte Form beginnt im Alter von über 40 Jahren, während eine frühe Form bereits im Alter von unter 30 Jahren zum Ausbruch kommt. „Uns gelang der Nachweis, dass der genetische ‚Adresszettel‘ bei früh erkrankten Patienten nahezu unlesbar ist“, so Haass. „Ist das Signal noch teilweise lesbar, tritt die Erkrankung spät auf und verläuft auch milder. Wir konnten auch zeigen, dass die fehlgeleiteten Proteine im Zellkörper offenbar dann verklumpen, wenn sie Hitzestress oder Alterungsprozessen ausgesetzt sind.“ Die Ergebnisse lassen die Entstehungsmechanismen von ALS wie auch FTD besser verstehen. Weiterführende Studien sollen nun klären, ob die Symptome durch die Ablagerungen im Zellkörper oder durch den Funktionsverlust der Proteine im Zellkern entstehen.
FUS-Protein mit Ablagerungen ®EMBO Journal
Publikation:
„ALS-associated fused in sarcoma (FUS) mutations disrupt Transportin-mediated nuclear import”;
Dorothee Dormann, Ramona Rodde, Dieter Edbauer, Eva Bentmann, Ingeborg Fischer, Alexander Hruscha, Manuel E. Than, Ian R. A. Mackenzie, Anja Capell, Bettina Schmid, Manuela Neumann, Christian Haass;
The EMBO Journal, published online, 06th July 2010doi:10.1038/emboj.2010.143
Kontakt:
Professor Christian Haass
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