Sabine Krabbe untersucht, wie Botenstoffe das Gehirn und die psychische Gesundheit beeinflussen
Bonn, 9. Dezember 2024. DZNE-Wissenschaftlerin Dr. Sabine Krabbe erhält rund zwei Millionen Euro, um zu erforschen, wie sich das Gehirn in Folge von Stress und Angst verändert – und lernt, mit solchen Emotionen umzugehen. Der Europäische Forschungsrat (European Research Council) stellt diese Fördermittel im Rahmen eines prestigeträchtigen „Consolidator Grant“ bereit. Im Mittelpunkt ihres Forschungsvorhabens stehen chemische Botenstoffe des Gehirns, die die Verschaltung von Nervenzellen beeinflussen und das Verhalten unter anderem in Angstsituationen regulieren. Von diesen Untersuchungen, die an Mäusen durchgeführt werden, erhofft sich die Neurowissenschaftlerin neue Erkenntnisse über fundamentale Vorgänge im Gehirn und die Entstehung psychiatrischer Erkrankungen.
„Unsere Fähigkeit, aus Herausforderungen oder Bedrohungen zu lernen, war im Laufe der Evolution überlebenswichtig und ist auch heute noch sehr bedeutsam für unseren Alltag. Wenn diese Lernprozesse jedoch gestört sind, kann das zu Angststörungen führen“, sagt Sabine Krabbe. „Wir möchten daher untersuchen, wie das Gehirn lernt, mit Stress- und Angstsituationen umzugehen und sich daraus Verhalten entwickelt.“ Konkret geht es um die Frage, wie bestimmte Botenstoffe, sogenannte Neuropeptide, das Gehirn beeinflussen und infolgedessen adaptive, emotional geprägte Reaktionen steuern. „Solche Prozesse sind für die psychische Gesundheit von großer Bedeutung. Unsere Befunde könnten nicht nur das Verständnis der Funktionsweise des Gehirns vertiefen. Sie könnten auch neue Wege aufzeigen, um Therapien gegen Angststörungen und andere psychische Erkrankungen zu entwickeln“, so Krabbe.
Emotionszentrum im Fokus
Die Neurowissenschaftlerin und ihr Team werden diese Vorgänge am Beispiel von Mäusen unter die Lupe nehmen. Das Forschungsvorhaben ist auf fünf Jahre ausgelegt und kombiniert umfangreiche Verhaltensstudien mit Hightech-Mikroskopieverfahren, die es ermöglichen, einzelne Hirnzellen zu beobachten. Wie in anderen Projekten der Bonner Forschungsgruppe steht dabei die „Amygdala“ im Fokus: eine Hirnregion, die für die Steuerung von Emotionen und daraus resultierende Verhaltensweisen eine zentrale Rolle spielt. „Die Amygdala hat bei allen Säugetieren eine ähnliche Struktur und Funktion. Aus der Beobachtung von Mäusen erhoffen wir uns allgemeingültige Erkenntnisse darüber, wie uns das Gehirn bei Stress und Angst schützt“, so Krabbe.
Auf der Spur von Neuropeptiden
Neuropeptide sind kleine Proteine und gehören zu den zahlreichen Botenstoffen, mit im Gehirn Signale übertragen. „In den Netzwerken des Gehirns findet ein ständiges Wechselspiel statt. Manche Botenstoffe steigern schnell die neuronale Aktivität, andere wirken hemmend. Neuropeptide gehören in keine dieser Kategorien – sie können Neurone langsam modulieren“, sagt Krabbe. „Man kann sich das so vorstellen: Im Gegensatz zu einem einfachen ‚Renn los‘ oder ‚Stopp‘ können Neuropeptide den Nervenzellen abgestufte und detaillierte Anweisungen geben – zum Beispiel ‚lauf schnell und schau dabei nach rechts‘. Außerdem können Neuropeptide über lange Zeiträume hinweg wirken. Das bedeutet, dass sie unser Gehirn und unsere Gefühle über Stunden, Tage oder Wochen hinweg beeinflussen können. Auf diese Weise können Neuropeptide lebenswichtige Zustände wie Furcht, Aggression oder Hunger langfristig regulieren. Sie sind daher zentral für unser Verhalten und Wohlbefinden.“
Adaptives Gehirn
Die Ergebnisse des anstehenden Forschungsprojekts könnten auch im Hinblick auf die Alzheimer-Krankheit von Bedeutung sein. Denn Neuropeptide spielen eine Schlüsselrolle für die „Neuroplastizität“. Dieser Begriff beschreibt die Anpassungsgabe des Gehirns, insbesondere die Fähigkeit dafür, Nervenzellen miteinander zu verschalten. Über diese Kopplungen kann sich das Gehirn verändern, aus Erfahrungen lernen und Erinnerungen generieren. Bei Demenz ist diese Fähigkeit beeinträchtigt. „Die Hirnprozesse, die wir uns anschauen wollen, sind so fundamental, dass sich Erkenntnisse für viele Bereiche ergeben könnten“, sagt Krabbe.
Über das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE): Das DZNE ist eines der weltweit führenden Forschungszentren für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und ALS, die mit Demenz, Bewegungsstörungen und anderen schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Gesundheit einhergehen. Diese Erkrankungen bedeuten enorme Belastungen für Betroffene und ihre Angehörigen, aber auch für die Gesellschaft und Gesundheitsökonomie. Das DZNE trägt maßgeblich zur Entwicklung neuer Strategien der Prävention, Diagnose, Versorgung, Behandlung und Pflege bei – und zu deren Überführung in die Praxis. Es hat bundesweit zehn Standorte und kooperiert mit Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen im In- und Ausland. Das DZNE wird staatlich gefördert, es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung.