Magdeburg/London, 18. Januar 2013. Das Gehirn kann Erinnerungen schneller abrufen als bislang angenommen. Das hat ein Forscherteam um den Magdeburger Neurowissenschaftler Emrah Düzel bei einem Gedächtnistest mit 31 Probanden festgestellt. Diese sollten zuvor gezeigte Wörter identifizieren. Deutlich weniger als eine halbe Sekunde nach dem erneuten Erscheinen eines Begriffs setzte bei den Versuchsteilnehmern der Erinnerungsprozess ein. Bisherige Untersuchungen hatten auf eine längere Reaktionszeit hingedeutet. Den Forschern gelangen noch andere Einblicke in die Arbeitsweise des Gedächtnisses. Sie konnten nachweisen, dass der „Hippocampus“ – eine zentrale Schaltstelle des Gehirns – konkrete Erinnerungen wachruft, an der Entstehung eher diffuser Bekanntheitsempfindungen jedoch nicht beteiligt ist. Dieser Befund gibt Hinweise darauf, wie das Erinnerungsvermögen durch die Alzheimerkrankheit beeinträchtigt wird. Die Studie ist in der renommierten Fachzeitschrift „Current Biology“ erschienen.
Unser Gehirn bedient sich eines breiten Repertoires an Gedächtnisinhalten. Ob wir eine Melodie wiedererkennen, uns an den Geburtstag des Lebenspartners erinnern oder beim Fahrradfahren unbewusst antrainierte Bewegungsabläufe abrufen – die Vorgänge in unserem Kopf unterscheiden sich von Fall zu Fall. Welche Bereiche des Gehirns jeweils beteiligt sind, ist eine zentrale Frage der Gedächtnisforschung. Ein wichtiger Akteur ist bekanntermaßen der „Hippocampus“. „Dieses Gehirnareal ist eine Schaltstelle für die Verarbeitung von Gedächtnisinhalten und für das Langzeitgedächtnis enorm wichtig“, erläutert Professor Düzel, der am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Magdeburg und an der dortigen Otto-von-Guericke-Universität forscht. „Menschen, deren Hippocampus verletzt ist, können sich an Vergangenes nicht oder nur schwer erinnern und sich Neues nur für kurze Zeit merken.“
Bisherige Untersuchungen lieferten allerdings widersprüchliche Ergebnisse über die Rolle dieses Hirnbereichs. „In der Gedächtnisforschung war es eine schwelende Diskussion, ob der Hippocampus einzig für Erinnerungen zuständig ist oder auch dafür, ein Gefühl von Bekanntheit zu erzeugen“, sagt der Neurowissenschaftler. Er erläutert die Hintergründe an einem Beispiel: „Wenn man einen Menschen wiedererkennt, kommt es bisweilen vor, dass man ihn nicht zuordnen kann. Die Person kommt einem bekannt vor, man weiß aber nicht, woher man sie kennt oder wo man ihr begegnet ist.“ In diesem Fall fehle der sogenannte Kontext, unterstreicht Düzel und ergänzt: „Weiß ich hingegen, dass ich diese Person neulich auf einer Party getroffen habe, so ist dieser Kontext vorhanden. Diese Erinnerung ist viel konkreter als ein diffuses Bekanntheitsempfinden.“