Neue Einblicke in NPC: eine Form der Kinderdemenz

Forschungsergebnisse unterstreichen Beteiligung des Immunsystems des Gehirns

München, 6. Dezember 2024. Forschende des DZNE und des LMU Klinikums München präsentieren im Fachjournal Science Translational Medicine neue Erkenntnisse zu den Mechanismen von „Niemann-Pick Typ C“ (NPC), einer seltenen neurodegenerativen Erkrankung, die mit Demenz einhergeht und sich bereits im Kindesalter bemerkbar machen kann. Die Forschungsergebnisse beruhen auf Untersuchungen an Mäusen, Zellkulturen und Menschen mit NPC. Sie unterstreichen die Rolle von Entzündungsprozessen bei dieser Erkrankung. Die Befunde deuten überdies auf einen Biomarker hin, der zur Verlaufskontrolle und Beurteilung des Therapieerfolgs nützlich sein könnte. Konkret geht es um ein Molekül namens TSPO. Dieses lässt sich mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) im Gehirn nachweisen.

„Normalerweise verbinden wir Demenz mit älteren Menschen. Es gibt jedoch auch Demenzerkrankungen, die sich bereits bei Kindern bemerkbar machen und zum Tod führen, und zwar schon im Alter von 30 Jahren oder sogar früher, wie etwa Niemann-Pick Typ C“, erläutert Dr. Sabina Tahirovic, Neurowissenschaftlerin am DZNE-Standort München. In Deutschland sind schätzungsweise etwa 150 Menschen von dieser seltenen neurodegenerativen Erkrankung betroffen. Sie weisen Mutationen in einem von zwei spezifischen Genen auf, die den Fettstoffwechsel regulieren. In der Folge kommt es zu einer schädlichen Anhäufung von Fettstoffen – sogenannten Lipiden – im Gehirn und in anderen Organen. Dies wiederum kann Bewegungsstörungen sowie schwere psychiatrische und neurologische Symptome auslösen – einschließlich Demenz.

Biomarker gefragt

„Oft vergehen Jahre bis NPC diagnostiziert wird und es sind zahlreiche Arztbesuche nötig. Die maßgeblichen Mutationen sind leicht nachzuweisen, aber oft wird NPC anfangs nicht in Betracht gezogen, weil die Erkrankung so selten ist“, so Tahirovic. Bestimmte Medikamente, die auf den Fettstoffwechsel wirken, können die Symptome lindern. Bisher gibt es jedoch keine Therapien, die die Krankheit dauerhaft aufhalten können. „Wir kennen zwar die genetischen Ursachen von NPC, aber die Mechanismen der Krankheitsentwicklung sind noch wenig verstanden. Unsere Befunde unterstreichen nun, dass Neuroinflammation ein entscheidender Faktor ist. Hier geht es um Entzündungsprozesse, die vom Immunsystem des Gehirns vermittelt werden. Außerdem haben wir mit TSPO einen potenziellen Biomarker für die Verlaufskontrolle und die Wirkung von Behandlungsmaßnahmen identifiziert“, sagt die Neurowissenschaftlerin. „Angesichts der Entwicklung neuer Therapeutika für NPC benötigen wir dringend solche Messgrößen, um klinische Nutzen und Krankheitsverlauf zu erfassen.“

Eine pathologische Kaskade

Ausgehend von den Ergebnissen früherer Studien widmeten sich Tahirovic und ihre Kolleginnen und Kollegen den Mikroglia: Diese Zellen gehören zum Immunsystem des Gehirns und sind daher auf die Bekämpfung von Krankheitserregern und anderen Bedrohungen spezialisiert. Bei NPC scheinen sie jedoch mehr zu schaden als zu nützen. „Wir konnten zeigen, dass die Mikroglia aktiv zur NPC-Pathologie beitragen, indem sie im Gehirn eine schädliche neuroinflammatorische Reaktion auslösen“, sagt Tahirovic. „Wir sehen diese Immunzellen als Teil einer pathologischen Kaskade, an der auch andere Gehirnzellen beteiligt sind und die letztlich Nervenzellen beschädigt. Aktuelle Behandlungsmethoden für NPC zielen darauf ab, die Menge an Lipiden in den Zellen zu reduzieren, da diese Anhäufung pathologisch ist. Unsere Ergebnisse unterstreichen nun die Bedeutung von Entzündungen bei NPC. Die Kombination von lipidsenkenden Strategien mit Immunmodulation ist daher aus meiner Sicht ein vielversprechender Ansatz für künftige Therapien.“

Ein möglicher Biomarker

Für das aktuelle Forschungsprojekt wurden Studien an Mäusen und Zellkulturen mit der Analyse von Blutproben und PET-Scans von NPC-Patienten kombiniert. Möglich wurde dies durch eine Zusammenarbeit mit der Klinik für Nuklearmedizin und der Klinik für Neurologie am LMU Klinikum. „Das sogenannte Translokator-Protein, kurz TSPO, ist ein gängiger Entzündungsmarker bei verschiedenen Gehirnerkrankungen. Bisher wurde TSPO jedoch nicht mit der Aktivierung von Mikroglia und dem Verlauf von NPC in Verbindung gebracht. Wir haben nun festgestellt, dass die Hyperaktivität der Mikroglia, wie man sie bei NPC beobachtet, sich in einem deutlichen Anstieg der TSPO-Werte widerspiegelt. Dieses Molekül ist in den Kraftwerken aller Zellen vorhanden und kommt offenbar ins Spiel, wenn der Energiebedarf der Mikroglia ansteigt“, erklärt Tahirovic. „TSPO ist daher ein möglicher Marker, um das Krankheitsstadium einzuschätzen und den Krankheitsverlauf vorherzusagen.“ Auch zur Beurteilung der Therapiewirkung könnte TSPO nützlich sein. „Wir schließen dies aus Daten von Patienten, die mit einem Medikament behandelt wurden, das die Symptome von NPC lindern kann. Dieses Mittel, namens N-Acetyl-L-Leucin, wurde in den USA kürzlich für die Behandlung von NPC zugelassen“, sagt Tahirovic. „Meiner Meinung nach wäre TSPO eine wertvolle Ergänzung zu den Biomarkern, die derzeit bei anderen, häufigeren neurodegenerativen Erkrankungen verwendet werden. Es wäre sinnvoll, diese Marker zu kombinieren und ihren Nutzen in klinischen Studien über NPC zu untersuchen.“

PET und Blut

TSPO lässt sich im Gehirn mithilfe von PET-Scans erfassen, einem Verfahren, das in spezialisierten Kliniken und Einrichtungen für molekulare Bildgebung verfügbar ist. „TSPO könnte sowohl für klinische Studien zu NPC als auch für die klinische Routine von Bedeutung sein. Die PET-Bildgebung könnte bei jungen Patienten schwierig sein, da sie im Scanner ruhig bleiben müssen. Wir haben jedoch gezeigt, dass die Untersuchung bei älteren Personen mit NPC möglich ist“, sagt Prof. Matthias Brendel, Experte für Neurobildgebung am LMU Klinikum. Darüber hinaus deuten Befunde aus der aktuellen und früheren Studien darauf hin, dass bestimmte Blutzellen Eigenschaften der Mikroglia widerspiegeln. Konkret geht es um sogenannte Makrophagen, sie sind die quasi Geschwister der Mikroglia. „Makrophagen aus dem Blut könnten auch eine Möglichkeit sein, TSPO zu erfassen. Unsere aktuellen Tests zur Messung von TSPO sind für den klinischen Alltag vielleicht noch zu aufwendig, aber es gibt sicherlich Raum für Weiterentwicklung“, sagt Tahirovic. „Zusammengefasst werfen unsere Befunde nicht nur neues Licht auf grundlegende Krankheitsmechanismen, sie könnten auch praktische Folgen für NPC-Patienten haben.“

 

Über das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE): Das DZNE ist eines der weltweit führenden Forschungszentren für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und ALS, die mit Demenz, Bewegungsstörungen und anderen schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Gesundheit einhergehen. Diese Erkrankungen bedeuten enorme Belastungen für Betroffene und ihre Angehörigen, aber auch für die Gesellschaft und Gesundheitsökonomie. Das DZNE trägt maßgeblich zur Entwicklung neuer Strategien der Prävention, Diagnose, Versorgung, Behandlung und Pflege bei – und zu deren Überführung in die Praxis. Es hat bundesweit zehn Standorte und kooperiert mit Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen im In- und Ausland. Das DZNE wird staatlich gefördert, es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung.

 

Medienkontakt

Dr. Marcus Neitzert
Presse
marcus.neitzert(at)dzne.de
+49 228 43302-267

Originalveröffentlichung

Myeloid cell-specific loss of NPC1 in mice recapitulates microgliosis and neurodegeneration in patients with Niemann-Pick type C disease.
Lina Dinkel, Selina Hummel et al.
Science Translational Medicine (2024).
DOI: 10.1126/scitranslmed.adl4616

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