Neue Impulse zur Erforschung seltener Nervenerkrankungen

Die Liegenschaft der RKU auf dem oberen Eselsberg in Ulm. Quelle: RKU

Der Ulmer Standortsprecher Prof. Albert Ludolph. Quelle: DZNE / Ole Lentfer

v. l. n. r.: Gunter Czisch (OB Ulm), Annette Schavan (Botschafterin beim Heiligen Stuhl), Prof. Udo X. Kaisers (Leitender Ärztlicher Direktor Uniklinikum Ulm), Theresia Bauer (Landesministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg), Prof. Thomas Wirth (Dekan der medizinischen Fakultät Universität Ulm), Bärbel Brumme-Bothe (Bundesministerium für Bildung und Forschung), Matthias Gruber (Geschäftsführer RKU), Prof. Pierluigi Nicotera (Wissenschaftlicher Vorstand DZNE), Prof. Albert Ludolph (Standortsprecher DZNE Ulm), Dr. Sabine Helling-Moegen (Administrativer Vorstand DZNE), Prof. Michael Weber (Präsident der Universität Ulm). Quelle: Carola Gietzen

Gemeinsame Pressemitteilung DZNE / Uni Ulm

Bund und Land Baden-Württemberg fördern wissenschaftliche Einrichtung der Helmholtz-Gemeinschaft in Ulm

Ulm, 28. Februar 2018. Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer und Bärbel Brumme-Bothe, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), haben das Startsignal für Ulm als weiteren Sitz des DZNE gegeben. Die symbolische Vertragsunterzeichnung geschah am heutigen Mittwoch, dem internationalen „Tag der Seltenen Erkrankungen“. Das DZNE wächst damit auf bundesweit zehn Standorte. In Ulm, seit langem ein Zentrum neurologischer Spitzenforschung, wird sich das DZNE insbesondere mit selteneren Nervenerkrankungen wie der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) befassen. Dazu kooperiert es mit der Universität Ulm, dem Universitätsklinikum Ulm sowie den Universitäts- und Rehabilitationskliniken (RKU). Die Partner arbeiten dort schon seit einigen Jahren in Form eines Virtuellen Instituts erfolgreich zusammen. Die neue Einrichtung soll Diagnose- und Therapie-Verfahren entwickeln und wissenschaftliche Erkenntnisse schnellst möglich in die klinische Praxis begleiten.

Anlässlich der Eröffnung des neuen DZNE-Standorts in Ulm sagte Ministerin Theresia Bauer vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg: „Die Kooperationspartner in Ulm sind weltweit führend in der Erforschung und klinischen Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen wie ALS, Frontotemporaler Demenz oder Huntington. Durch die Zusammenarbeit mit dem DZNE entsteht eine einmalige Kombination von Ideen und Expertise, von der wegweisende Impulse für Forschung und Behandlung ausgehen werden. Ich freue mich, dass sich mit den Standorten Ulm und Tübingen nun bereits zwei baden-württembergische Einrichtungen dauerhaft an dieser enorm wichtigen Aufgabe beteiligen.“

Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Johanna Wanka, hob hervor: „Seltene Neurodegenerative Erkrankungen wie ALS betreffen weit weniger Menschen als die großen Volkskrankheiten. Gleichwohl wiegt das Leid nicht weniger schwer. Mit der Integration des Standortes Ulm in das DZNE geben wir der Forschung zu diesen Erkrankungen deshalb eine langfristige Förderperspektive. Wir vereinen international führende Kooperationspartner in einer dauerhaften, exzellenten Partnerschaft. Dadurch stärken wir die Forschung zur Diagnose und Therapie von ALS und Frontotemporalen Demenz und verbessern die Versorgung der Patientinnen und Patienten.“

Die Entscheidung für den neuen Standort hat sich auf Grundlage der seit Jahren etablierten Zusammenarbeit des DZNE mit Ulmer Fachleuten entwickelt. Denn bereits im Januar 2013 war hier ein Virtuelles Institut gegründet worden, das die Helmholtz Gemeinschaft fördert. Dieses war zuletzt in einer wissenschaftlichen Begutachtung exzellent bewertet worden. Denn Universität, Universitätsklinikum und die RKU haben ein einzigartiges Know-how über seltene Nervenerkrankungen wie ALS, Frontotemporalen Demenz (FTD) und Huntington. Die Expertise reicht von der Grundlagenforschung bis zur hochspezialisierten Versorgung von Patienten.

Mit seinem klinischen Studienzentrum sowie Patientenregistern für ALS und Huntington verfügt Ulm zudem über eine herausragende Infrastruktur für die medizinische Forschung. In den nächsten Jahren soll der Ulmer Mitarbeiterstab des DZNE auf bis zu 50 Personen anwachsen. Einbezogen werden auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die schon jetzt in Ulm tätig sind. Sprecher des neuen Standorts wird der Ulmer Neurologe und Universitätsprofessor Albert Ludolph. Die Beschäftigten des DZNE werden zunächst bestehende Räumlichkeiten der Universität Ulm nutzen. Langfristig soll ein eigenes Forschungsgebäude entstehen. Nach einer Übergangsphase werden das BMBF und das Land Baden-Württemberg den DZNE-Standort Ulm ab 2021 gemeinsam mit jährlich bis zu drei Millionen Euro fördern. Auch die Ulmer Partner (Universität, Universitätsklinikum und die Medizinische Fakultät) werden für den Aufbau einen substanziellen Millionenbetrag bereitstellen.

Ziel: innovative Diagnose- und Behandlungsmethoden

Der Fokus des DZNE-Standorts Ulm wird auf translationaler Forschung liegen ‑ also darauf, wissenschaftliche Ergebnisse möglichst rasch in die klinische Anwendung zu überführen, damit Patienten davon profitieren können.

Gute Voraussetzungen dafür ergeben sich durch die Einbindung von Ulm in das bundesweite klinische Netzwerk des DZNE, das standortübergreifende Studien betreibt. Da solche Untersuchungen nicht lokal begrenzt sind, ermöglichen sie einen umfangreichen Teilnehmerkreis und infolgedessen eine besonders hohe statistische Aussagekraft. Zur Entwicklung neuer Diagnose- und Therapiemethoden können sie daher wesentlich beitragen.

Konkret werden sich die Ulmer Fachleute des DZNE unter anderem damit befassen, sogenannte Biomarker zu identifizieren. Anhand solcher biologischen Merkmale lässt sich eine Erkrankung idealerweise frühzeitig erkennen und abschätzen, wie sie weiter verlaufen wird. Biomarker sind daher wichtige Elemente einer zielgerichteten Behandlung. Überdies sollen Therapiekonzepte erforscht werden, die bei krankmachenden Gendefekten ansetzen.

Bundesweite Forschungseinrichtung

Das 2009 gegründete DZNE hat bundesweit rund 1.100 Beschäftigte an seinen bisherigen Standorten Berlin, Bonn, Dresden, Göttingen, Magdeburg, München, Rostock/Greifswald, Tübingen und Witten. Es verfolgt eine interdisziplinäre Forschungsstrategie, um wissenschaftliche Erkenntnisse zügig in die medizinische Anwendung zu überführen und neue Ansätze zur Vorbeugung, Früherkennung und Behandlung degenerativer Erkrankungen des Nervensystems zu entwickeln. Dazu arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fach- und standortübergreifend zusammen. Das DZNE gehört zur Helmholtz-Gemeinschaft. Es wird vom BMBF, dem Land Baden-Württemberg und weiteren Bundesländern gefördert, in denen sich die Standorte des DZNE befinden.

Hintergrund

Erforschung der Neurodegeneration

Neurodegenerative Erkrankungen können Demenz verursachen, Bewegungsstörungen auslösen und die Gesundheit auch in anderer Weise massiv beeinträchtigen. Bisherige Therapien können zwar Symptome lindern, den Verlauf dieser Erkrankungen aber nicht nachhaltig beeinflussen. Zu diesen Erkrankungen zählen neben ALS, FTD und Huntington beispielweise Alzheimer und Parkinson. Alle diese Leiden gehen mit einer fortschreitenden Schädigung von Nervenzellen einher (Neurodegeneration). Diese Entwicklung kann letztlich zum Zelltod führen.

Da das Risiko für Neurodegeneration mit dem Alter zunimmt und die Menschen immer länger leben, ist mit einer steigenden Zahl an Betroffenen zu rechnen. Infolgedessen gelten neurodegenerative Erkrankungen als eine der großen Aufgaben der heutigen Medizin. Das DZNE verfolgt daher eine umfassende Strategie: Diese reicht – verteilt über diverse Standorte – von der Erforschung molekularer Krankheitsprozesse bis hin zu klinischen Studien, der Populations- und der Versorgungsforschung.

Seltene Erkrankungen

ALS, FTD sowie Huntington werden gemeinhin zu den sogenannten seltenen Erkrankungen gezählt. In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als „selten“, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. In Deutschland sind Schätzungen zufolge 6.000 bis 8.000 Menschen an ALS erkrankt, etwa 40.000 sind von FTD betroffen und ungefähr 8.000 von Huntington.

Diese Erkrankungen sind derzeit nicht heilbar und führen meist innerhalb weniger Jahre zum Tode. Sie können sich – anders als Alzheimer oder Parkinson, die vorwiegend im höheren Alter auftreten – schon in früheren Lebensjahren bemerkbar machen. Weil viele Erkrankte zunächst noch berufstätig sind und teils Kinder versorgen müssen, ist die Diagnose für die Betroffenen besonders tragisch.

Infolge von ALS gehen Nervenzellen, die für die Steuerung der Muskeln zuständig sind, im Gehirn wie auch im Rückenmark zugrunde. Die ALS führt daher zu Lähmungen der Gliedmaßen und der Atemmuskulatur. Bei der FTD kommt es zum Absterben von Nervenzellen insbesondere im Stirnbereich des Gehirns. Mögliche Folgen sind Veränderungen der Persönlichkeit und im Sozialverhalten. Die FTD gilt nach Alzheimer und vaskulärer Demenz als die dritthäufigste Form der Demenz.

Neuere Befunde deuten darauf hin, dass ALS und FTD ähnliche Ursachen haben – und dass es Mischformen dieser Erkrankungen gibt, die sowohl Merkmale der ALS wie auch solche der FTD aufweisen. Insbesondere hat sich herausgestellt, dass Gendefekte und Störungen in der Verarbeitung der Erbinformation zur Entwicklung von ALS, FTD und deren Varianten maßgeblich beitragen.

Die Huntington-Krankheit – auch „Chorea Huntington“ genannt – ist eine degenerative Erkrankung des Gehirns, die durch einen vererbten Genfehler ausgelöst wird: Sie äußert sich durch Störungen der Bewegung, des Verhaltens und durch Symptome einer Demenz.

Medienkontakt

N. N.
Gruppenleiter

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