Bei Menschen mit Parkinson sterben Gehirnzellen ab, die für die Produktion des Botenstoffes Dopamin verantwortlich sind. Infolgedessen fällt es den Patienten schwer, Bewegungen zu kontrollieren, Schlafstörungen und Depressionen können auftreten und im Laufe der Erkrankung kann sich zudem eine Demenz entwickeln. Parkinson ist bislang nicht heilbar und die eigentlichen Auslöser des Zellsterbens, der sogenannten Neurodegeneration, sind unbekannt – doch Mutationen eines bestimmten Gens mit dem Namen GBA1 gelten als eine der wichtigsten Risikofaktoren. „Dieses Gen enthält den Bauplan eines Enzyms mit dem Namen Glukozerebrosidase, das an der Verarbeitung bestimmter zellulärer Fette beteiligt ist“, erläutert DZNE-Forscherin Michela Deleidi, die auch am Tübinger Hertie-Institut für klinische Hirnforschung arbeitet. „Veränderungen in diesem Gen führen nicht zwangsläufig zu einer Parkinson-Erkrankung. Tatsächlich sind Menschen mit Mutationen in beiden Kopien dieses Gens von einer Stoffwechselerkrankung namens Morbus Gaucher betroffen. Allerdings haben sowohl Gaucher-Patienten als auch Menschen, bei denen nur eine Kopie des Gens mutiert ist, ein erhöhtes Risiko an Parkinson zu erkranken.“
Was diese Mutationen in der Nervenzelle genau bewirken, war bisher weitgehend unerforscht. „Im Falle von Parkinson wurden noch keine Studien durchgeführt, die den genauen Zusammenhang zwischen Mutationen in GBA1 und der Krankheit beschreiben“, so Deleidi. Gemeinsam mit Tübinger Kollegen um Professor Thomas Gasser und Kooperationspartnern in Italien und den USA machte sich die Wissenschaftlerin daran, die Folgen der genetischen Veränderungen aufzuklären.
Induzierte Stammzellen
Nervenzellen des Menschen sind nicht ohne weiteres zugänglich und lassen sich, falls sie durch einen chirurgischen Eingriff gewonnen werden, im Labor nur schwer kultivieren. Deleidi und ihre Kollegen gingen daher einen anderen Weg: Von Parkinson- und Gaucher-Patienten mit Mutationen des GBA1-Gens entnahmen sie Zellen der Haut und verwandelten diese – per Eingriff in ihre genetische Programmierung – in „induzierte pluripotente Stammzellen“. Stammzellen sind noch nicht spezialisiert: In ihnen steckt das Potential, sich in nahezu jeden Zelltyp des Körpers weiterzuentwickeln. „Aus den Stammzellen haben wir Dopamin produzierende Nervenzellen gezüchtet“, erläutert die Wissenschaftlerin. Diese Zellen enthielten das Erbgut der Patienten und somit auch Mutationen des GBA1-Gens. „Als nächstes haben wir untersucht, was diese Mutationen in der Zelle bewirken. Dabei haben wir uns jene Effekte angeschaut, die die Zelle für Neurodegeneration anfällig machen.“ Für Vergleichstests studierten die Forscher andere Zellkulturen, die ebenfalls auf Patienten zurückgingen – doch bei diesen Nervenzellen hatten sie die GBA1-Mutationen mittels gentechnischer Methoden zuvor behoben.
Vielfache Störungen
Fazit: Während die Zellen mit korrigiertem Erbgut unauffällig waren, entdeckten die Forscher in den mutierten Nervenzellen diverse Störungen. Sowohl Zellen, die von Parkinson-Patienten abstammten, wie solche, die auf Gaucher-Patienten zurückgingen, waren in ähnlicher Weise betroffen. Zum einen war die Aktivität des Enzyms Glukozerebrosidase reduziert. Außerdem war die allgemeine Fähigkeit der Zellen gestört, bestimmte Produkte des Stoffwechsels zu verarbeiten und zu entsorgen. „Die Aktivität der entsprechenden Enzyme war niedriger als normal. Das bedeutet, dass sich manche Substanzen ansammeln und die Nervenzellen schädigen können“, erklärt die Forscherin.
Potentielle Biomarker
Diese Ergebnisse deckten sich mit Befunden aus der Rückenmarksflüssigkeit von Patienten. Enzyme, die in den Zellkulturen auffällig waren, zeigten auch hier eine verringerte Aktivität. Dabei war neben der Glukozerebrosidase auch die Aktivität anderer Enzyme des Fettstoffwechsels reduziert. Deleidi: „Die Messung solcher Enzym-Aktivitäten könnte wichtige Hinweise auf eine Parkinson-Erkrankung liefern. Insofern sind diese Enzyme mögliche Biomarker, also Indikatoren, die für die Diagnose von Parkinson hilfreich sein können.“
In den mutierten Nervenzellen aus dem Labor fanden die Forscher außerdem eine erhöhte Konzentration des Proteins α-Synuklein. Dieses Protein hat bei Parkinson eine Schlüsselstellung, weil es sich zu mikroskopisch kleinen Klumpen zusammenballt, welche im Verdacht stehen, Nervenzellen zu schädigen.
Mögliche Ansatzpunkte für die Therapie
Darüber hinaus war in den Zellen mit mutiertem Erbgut der Kalziumstoffwechsel gestört. Steigt der Kalziumspiegel, so hat das Signalwirkung: In der Zelle werden dann diverse Reaktionen in Gang gesetzt. „Wir haben festgestellt, dass die mutierten Nervenzellen die Konzentration an Kalzium-Ionen nicht mehr richtig regulieren konnten. Die Zellen werden dadurch stressanfälliger, also empfindlicher für Störungen“, meint Deleidi. „Der Kalzium-Stoffwechsel könnte also ein Ansatzpunkt für die Entwicklung neuartiger therapeutischer Maßnahmen sein. Zusammenfassend haben wir klar gezeigt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Mutationen im GBA1-Gen und zellulären Fehlfunktionen gibt. Infolgedessen könnte man in der Wirkungskette auch früh ansetzen und versuchen, die Aktivität des Enzyms Glukozerebrosidase durch Arzneistoffe zu erhöhen, um die Krankheit vorzubeugen oder zu verzögern.“
Original-Veröffentlichung
iPSC-derived neurons from GBA1-associated Parkinson’s disease patients show autophagic defects and impaired calcium homeostasis
David C. Schöndorf, Massimo Aureli, Fiona E. McAllister, Christopher J. Hindley, Florian Mayer, Benjamin Schmid, S. Pablo Sardi, Manuela Valsecchi, Susanna Hoffmann, Lukas Kristoffer Schwarz, Ulrike Hedrich, Daniela Berg, Lamya S. Shihabuddin, Jing Hu, Jan Pruszak, Steven P. Gygi, Sandro Sonnino, Thomas Gasser, Michela Deleidi. Nature Communications, 2014