Bis vor kurzem unbekannt
Entdeckt wurden diese Mechanismen erst vor wenigen Jahren. Früher habe man beim Menschen die Ursachen von Hirnentzündungen, die nicht durch Erreger wie Viren, Bakterien oder Parasiten ausgelöst werden, nur unzureichend aufschlüsseln können, so Prüß. „Inzwischen ist die Zahl der ungeklärten Fälle deutlich gesunken. Seit 2010 wissen wir, dass die meisten Patienten mit einer Hirnentzündung ohne Erregernachweiß an Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis erkrankt sind. Denn mittlerweile gibt es Testverfahren, um die dafür charakteristischen Antikörper nachzuweisen“, sagt der Neurowissenschaftler. „Beim Menschen lässt sich diese Erkrankung relativ gut mit Medikamenten behandeln.“
„Letztlich hat uns dieses Resultat doch ziemlich beeindruckt“, kommentiert IZW-Forscher Greenwood die neuen Erkenntnisse über Knuts Erkrankung. „Die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis wurde erst kürzlich beim Menschen beschrieben. Sie ist aber offenbar auch für andere Säugetiere von Bedeutung. Wir sind erleichtert, das Rätsel um Knuts Erkrankung endlich gelöst zu haben. Zumal diese Erkenntnisse praktische Bedeutung haben könnten. Beim Menschen ist diese Erkrankung therapierbar. Wenn es gelingt, diese Therapien zu übertragen, könnten wir bei Zootieren möglicherweise Hirnentzündungen erfolgreich behandeln und Todesfälle vermeiden.“
Antikörper-Tests bei Demenzpatienten
„Knuts Erkrankung ist ein weiterer Fingerzeig noch in einer anderen Beziehung: Möglichweise sind Autoimmunerkrankungen des Nervensystems bei Menschen und anderen Säugetieren weiter verbreitet als bisher angenommen“, meint Greenwood.
„Es könnte sein, dass wir bei Menschen mit Psychosen oder Gedächtnisstörungen autoimmunvermittelte Entzündungen übersehen. Denn diese Patienten werden nicht routinemäßig auf die zugehörigen Antikörper untersucht. Infolgedessen können wir sie nicht optimal behandeln. Daher halte ich es für sinnvoll, insbesondere dann, wenn die Ursache einer Demenz unklar ist, Patienten auf entsprechende Antikörper zu testen. Denn Antikörper sind mögliche Angriffspunkte für Medikamente. Zumal es neben der Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis noch weitere Hirnerkrankungen gibt, für die fehlgeleitete Antikörper ebenfalls von Bedeutung sind“, kommentiert DZNE-Forscher Prüß.
„Das vorliegende Untersuchungsergebnis ist ein wichtiger Forschungsbeitrag in Sachen Autoimmunerkrankungen des Nervensystems bei Tieren. Man kann den Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen, des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung sowie der Charité - Universitätsmedizin Berlin nur gratulieren. Sie haben die Basis dafür geschaffen, dass in Zukunft entsprechende Erkrankungen wie jene von Knut früher erkannt und behandelt werden können“, sagt Dr. Andreas Knieriem, Direktor des Zoologischen Gartens Berlin.
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Originalveröffentlichung
Anti-NMDA Receptor Encephalitis in the Polar Bear (Ursus maritimus) Knut.
Prüss H, Leubner J, Wenke NK, Czirják GÁ, Szentiks CA, Greenwood AD (2015).
SCIENTIFIC REPORTS, doi: 10.1038/srep12805.