Gemeinsame Pressemitteilung
DZNE & Hertie-Institut für klinische Hirnforschung & Universitätsklinikum Tübingen
Tübingen, 21. Januar 2019. Jahre bevor erste Symptome einer Alzheimer-Erkrankung auftreten, verändert sich das Gehirn und Nervenzellen werden langsam abgebaut. Wissenschaftler am DZNE, dem Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) und des Universitätsklinikums Tübingen zeigen nun, dass sich anhand eines im Blut vorkommenden Eiweißstoffes der Krankheitsverlauf lange vor dem Auftreten der ersten klinischen Anzeichen genau verfolgen lässt. Dieser Bluttest bietet neue Möglichkeiten in der Therapieforschung. Die Studie wurde gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam durchgeführt und in der Zeitschrift „Nature Medicine“ veröffentlicht.
„Dass es noch keine wirksame Therapie gegen Alzheimer gibt, hängt vermutlich damit zusammen, dass die bisherigen Therapien viel zu spät einsetzen“, sagt Mathias Jucker, Forscher am Tübinger DZNE-Standort, am HIH und Leiter der aktuellen Studie. Um bessere Behandlungsverfahren zu entwickeln, brauchen Wissenschaftler daher eine verlässliche Methode, mit der sie den Krankheitsverlauf verfolgen und vorhersagen können, bevor Symptome wie Gedächtnisstörungen einsetzen. Ein Bluttest eignet sich dazu viel besser, als beispielsweise teure Gehirnscans.
In jüngster Zeit wurden bei der Entwicklung solcher Bluttests einige Fortschritte erzielt. Die meisten dieser Verfahren beruhen auf dem Nachweis sogenannter Amyloid-Proteine. Bei einer Alzheimer-Erkrankung sammeln sich diese Proteine im Gehirn an und sie treten auch im Blut auf. Jucker und Kollegen verfolgen jedoch einen anderen Ansatz. „Unser Bluttest misst nicht das Amyloid, sondern das, was es im Gehirn anrichtet, nämlich Neurodegeneration. Anders gesagt: den Tod von Nervenzellen“, sagt Jucker.
Spuren im Blut
Wenn Hirnzellen absterben, lassen sich ihre Überreste im Blut nachweisen. „Normalerweise werden solche Proteine im Blut aber schnell abgebaut und eignen sich daher nicht sehr gut als Marker für eine neurodegenerative Erkrankung“, erklärt Jucker. „Eine Ausnahme bildet jedoch ein kleines Stückchen eines sogenannten Neurofilaments, das gegen diesen Abbau erstaunlich resistent ist“. Auf diesem Eiweißstoff basiert der Bluttest von Jucker und Kollegen. In der aktuellen Studie zeigen die Wissenschaftler, dass sich das Filament schon lange vor dem Auftreten klinischer Symptome – also bereits in der sogenannten präklinischen Phase – im Blut anreichert, dass es sehr empfindlich den Verlauf der Krankheit widerspiegelt und Vorhersagen über künftige Entwicklungen ermöglicht.
Die Studie beruht auf Daten und Proben von 405 Personen, die im Rahmen eines internationalen Forschungsverbunds – dem „Dominantly Inherited Alzheimer Network“ (DIAN) – erhoben wurden. Beteiligt sind neben dem DZNE, dem HIH und dem Universitätsklinikum Tübingen auch die Washington University School of Medicine in St. Louis (USA) sowie weitere Einrichtungen in aller Welt. Dieses Netzwerk untersucht Familien, bei denen aufgrund genetischer Veränderungen eine Alzheimer-Erkrankung schon im mittleren Alter auftritt. Genetische Analysen erlauben recht genaue Vorhersagen darüber, ob und wann ein Familienmitglied an Demenz erkranken wird.
Vorboten einer Demenz
Bei diesen Personen verfolgten Jucker und Kollegen die Entwicklung der Filament-Konzentration von Jahr zu Jahr. Dabei stellten sie fest: Bis zu 16 Jahre vor dem errechneten Eintreten von Demenzsymptome gab es im Blut auffällige Veränderungen. „Es ist nicht der absolute Wert der Filament-Konzentration, sondern deren zeitliche Entwicklung, die wirklich aussagekräftig ist und Vorhersagen über den weiteren Krankheitsverlauf erlaubt“, sagt Jucker. In weiteren Untersuchungen zeigten die Wissenschaftler, dass die Veränderung der Neurofilament-Konzentration den neuronalen Abbau sehr exakt widerspiegelt und gute Prognosen darüber erlaubt, wie sich das Gehirn in den nächsten Jahren entwickeln wird. „Wir konnten Vorhersagen über den Verlust von Hirnmasse und über kognitive Beeinträchtigungen machen, die dann zwei Jahre später tatsächlich eingetreten sind“, so Jucker.
Während sich also herausstellte, dass die Veränderungsrate der Filament-Konzentration und der Abbau von Hirngewebe eng miteinander korrelierten, war der Zusammenhang mit der Ablagerung toxischer Amyloid-Proteine weit weniger ausgeprägt. Diese Beobachtung stützt die Annahme, dass Amyloid-Proteine zwar ein Auslöser der Erkrankung sind, der neuronale Abbau im weiteren Verlauf jedoch unabhängig erfolgt.
Werkzeug für die Therapieforschung
Nicht nur bei Alzheimer, auch im Zuge weiterer neurodegenerativer Erkrankungen kommt es im Blut zur Anreicherung von Neurofilamenten. Damit eignet sich der Test nur bedingt zur Diagnose von Alzheimer. „Der Test zeigt aber sehr genau den Krankheitsverlauf an und ist damit ein ausgezeichnetes Werkzeug, um in klinischen Studien neue Alzheimer-Therapien zu erforschen“, sagt Jucker.