Je nach Gemütslage und Tätigkeit sind im menschlichen Gehirn unterschiedliche Regionen aktiv. Manche mehr, manche weniger. Wahrnehmungen und Gedanken verändern diesen Zustand. So entsteht ein neuronales Aktivitätsmuster, das an die erlebte Situation gekoppelt ist. Wenn wir uns an sie erinnern, werden ähnliche Muster wiedererweckt. Diese schlummern gewissermaßen im Gehirn. Wie sie dort latent verbleiben, ist noch weitgehend ungeklärt.
Die gängige Theorie der Gedächtnisbildung geht davon aus, dass Erinnerungen schrittweise abgespeichert werden: Zunächst legt das Gehirn neue Informationen nur vorübergehend an. Damit diese langfristig erhalten bleiben, ist ein weiterer Prozess erforderlich. „Wir sprechen von Konsolidierung“, erläutert Privatdozent Dr. Nikolai Axmacher, der an der Klinik für Epileptologie der Universität Bonn und am Bonner Standort des DZNE forscht. „Wir wissen nicht genau, wie dieser Vorgang abläuft. Untersuchungen legen jedoch nahe, dass dafür eine sogenannte Reaktivierung von Bedeutung ist. Dabei wiederholen sich im Gehirn Aktivitätsmuster, die mit einer bestimmten Erinnerung zusammenhängen. Das ist im Grundsatz ein vertrautes Konzept. Es ist eine Tatsache, dass Dinge, die aktiv eingeübt werden, sich besser einprägen und länger im Gedächtnis bleiben. Wir gehen allerdings davon aus, dass eine Reaktivierung von Gedächtnisinhalten auch spontan geschehen kann. Also ohne, dass es einen äußeren Anlass dafür gibt.“
Gedächtnistest im Tomographen
Um diese Hypothese auf die Probe zu stellen, baten Axmacher und sein Team zehn Probanden zum Gedächtnistest. Die Versuchsteilnehmer waren im Mittel etwa 24 Jahre alt und gesundheitlich unauffällig. Ihre Aufgabe: Sie sollten verschiedene Bilder mit einer zuvor gezeigten räumlichen Position verbinden. Das bedeutete konkret, sich die Lage einer Markierung für jede einzelne dieser Abbildungen zu merken. „Das ist eine assoziative Aufgabe, bei der optische und räumliche Eindrücke verknüpft werden müssen“, erläutert der Forscher. „Solche Tätigkeiten beanspruchen verschiedene Hirnregionen. Darunter den visuellen Cortex und auch den Hippocampus, der an vielen Gedächtnisprozessen beteiligt ist .“
Die Bilder zeigten unter anderem Frösche, Bäume, Flugzeuge und Menschen. Sie waren alle an unterschiedlicher Stelle mit einem weißen Quadrat markiert. Zum Ende des Experimentes bekamen die Versuchsteilnehmer diese Bilder erneut zu Gesicht – nur diesmal ohne Kennzeichnung. Ihre Aufgabe war es nun, per Computer-Maus jedes Bild an der zuvor gezeigten Stelle zu markieren. Wie gut dies gelang, ermittelten Axmacher und seine Kollegen anhand der Abweichung von der korrekten Position.
Die Testreihe dauerte mehrere Stunden, die jeder Proband – abgesehen von kurzen Unterbrechungen – in der Röhre eines Magnetresonanz-Tomographen (MRT) verbrachte. Während des gesamten Experiments, das mehrere Ruhephasen und einen Mittagsschlaf beinhaltete, erfasste das MRT die Gehirnaktivität der Versuchsteilnehmer.
Wiederkehrende Hirnmuster steigerten die Treffsicherheit
Die Forscher werteten diese Daten mit Hilfe eines mathematischen Algorithmus aus. Dieser suchte nach Ähnlichkeiten zwischen den Hirnmustern, die bei der ursprünglichen Vorführung der Bilder vorkamen und solchen, die zu späteren Zeitpunkten auftraten. „Dieses Verfahren der Mustererkennung ist ziemlich aufwendig, aber recht effektiv“, sagt Axmacher. „Bei der Analyse stellte sich heraus, dass neuronale Muster, die wir einzelnen Abbildungen zuordnen konnten, während der Ruheperioden und auch während des Mittagsschlafes wiederkehrten.“
Die Gedächtnisleistung der Probanden ging Hand in Hand mit der Häufigkeit, mit der sich Hirnmuster wiederholten. „Je häufiger ein Aktivitätsmuster auftrat, desto genauer konnte ein Proband das zugehörige Bild markieren. Desto größer war also seine Treffsicherheit für dieses Bild“, fasst Axmacher die Ergebnisse zusammen. „Diese Resultate stützen unsere Vermutung, dass sich neuronale Muster spontan wiederholen können und dass sie die Bildung dauerhafter Gedächtnisinhalte fördern. Darauf gab es bereits Hinweise aus Tierstudien. Für den Menschen haben wir dieses Phänomen nun erstmals belegt.“
Ruheperioden sind gut fürs Gedächtnis
Die Studie zeigt außerdem, dass Momente der Entspannung die Gedächtnisleistung im Allgemeinen fördern können. „Aus unseren Daten können wir allerdings nicht ablesen, ob der Schlaf eine besondere Wirkung hatte. Das mag aber an den Bedingungen unseres Experimentes liegen“, meint Axmacher. „Nachtschlaf gilt als günstig für die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten. Doch dieser dauert für gewöhnlich viele Stunden und beinhaltet den mehrfachen Wechsel zwischen verschiedenen Schlafphasen. Bei unserer Untersuchung kam es jedoch nur zu einem vergleichsweise kurzen Nickerchen. Wenn überhaupt sanken unsere Probanden nur kurzzeitig in den Tiefschlaf. Gleichwohl deuten andere Studien darauf hin, dass selbst ein kurzer Mittagschlaf die Gedächtnisleistung durchaus fördern kann.“
Objektiver Blick auf Gedächtnisinhalte
Unklar ist, ob die wiederkehrenden Aktivitätsmuster bei den Versuchspersonen eine bewusste Erinnerung auslösten oder ob sie unterhalb der Wahrnehmungsschwelle blieben. „Es ist plausibel anzunehmen, dass die Probanden in den Ruhephasen die Gedanken schweifen ließen und sich dabei an die gesehenen Bilder zurückerinnerten. Dabei spielt das subjektive Empfinden der Probanden eine Rolle. Das haben wir nicht nachgefragt, denn für unsere Untersuchung ist es gar nicht entscheidend“, sagt Axmacher. „Die Stärke unserer Methode liegt vielmehr darin, dass wir Gedächtnisinhalte von außen und damit objektiv erfassen. Und dass wir sie mit Hilfe der Mustererkennung auswerten können. Das bietet Möglichkeiten für viele Fragestellungen. Neuronale Muster, die sich spontan wiederholen, sind beispielsweise auch für die Traumforschung von Interesse.“
Originalpublikation
“Memory consolidation by replay of stimulus-specific neural activity”, The Journal for Neuroscience, Veröffentlichung vom 4. Dezember 2013, doi: 10.1523/JNEUROSCI.0414-13.2013