Forschungsschwerpunkte
Unsere Gruppe ist auf translationale Forschung bei neurogenetischen Erkrankungen wie zerebellären Ataxien und Hereditären Spastischen Spinalparalysen (HSP) ausgerichtet. Mittels Exom- und Genomsequenzierung versuchen wir die genetischen Ursachen dieser Erkrankungen aufzudecken, um für unsere Patienten die Diagnose zu sichern und ein Fenster zur Erforschung der Pathophysiologie und zur Entwicklung kausaler Therapien zu öffnen.
In unseren Spezialambulanzen werden Patienten in klinische Studien eingeschlossen, die Maße für die Progression dieser seltenen Erkrankungen entwickeln. Außerdem bitten wir unsere Patienten um Blut- und Gewebeproben wie DNA, RNA, Serum, PBMC, Urin, Liquor und Hautbiopsien, die wir in unsere Biobank einbringen und für die Entwicklung von Biomarkern nutzen, die die Erkrankungsaktvität anzeigen.
Die klinischen Studien werden im Labor durch Arbeiten an Zellkulturmodellen der Erkrankungen komplementiert. Aus Hautbiopsien unserer Patienten werden induzierte pluripotente Stammzellen (iPSC) reprogrammiert, die dann zu Neuronen differenziert werden können, die genetisch identisch mit den Patienten sind und genau den Zelltyp repräsentieren, der von der Erkrankung betroffen ist. So können wir sehr frühe Schritte in der Krankheitsentstehung untersuchen und Ansatzpunkte für neue Therapien identifizieren. Substanzen, die sich in den krankheitsspezifischen neuronalen Kulturen als hilfreich erweisen, werden schließlich in Therapiestudien in der Klinik an den Patienten getestet.
Jüngst konnten wir für die spastische Spinalparalyse Typ 5 (SPG5) paradigmatisch den Erfolg eines translationalen Forschungsansatzes zeigen. SPG5-Patienten entwickeln eine spastische Gangstörung, die nach ca. 20 Jahren zum Verlust der Gehfähigkeit führt. Die langsame Progredienz und die Seltenheit der SPG5 (etwa 1 : 1.000.000) machen es unmöglich, in einer rein klinischen Studie die Wirksamkeit eines Medikaments nachzuweisen. In einer solchen Konstellation ist es entscheidend, einen Biomarker zur Verfügung zu haben, der kausal mit dem Erkrankungsprozess assoziiert ist. Wir konnten zeigen, dass bei der SPG5 die 27-Hydroxycholesterolspiegel (27-OHC) (i) sowohl im Serum als auch im Liquor von SPG5-Patienten stark erhöht sind, (ii) der 72-OHC-Spiegel mit der Schwere der klinischen Symptomatik korreliert und (iii) 27-OHC in humanen Nervenzellkulturen aus iPS-Zellen neurotoxisch ist und in Konzentrationen, wie sie bei SPG5-Patienten vorliegen, zu einem reduzierten Axonwachstum führen.
Auf diesem Hintergrund nutzten wir die enge Korrelation zwischen 27-OHC-Spiegel und Cholesterinspiegel, um für die SPG5 eine Studie mit dem Cholesterinsenker Atorvastatin zu initiieren. Wir konnten zeigen, das mit 40 mg Atorvastatin pro Tag die 27-OHC-Spiegel bei SPG5-Patienten innerhalb von 9 Wochen um 30% sinken. Dieses Beispiel zeigt das Potential von Therapieansätzen, die essentielle Schritte der Pathogenese adressieren. Strikte genetische Stratifizierung der Patientenkohorte war der Schlüssel dafür, dass diese Studie an nur 7 Patienten pro Gruppe (Atorvastatin und Placebo) einen Wirkungsnachweis erbringen konnte, da jeder Patient in der Verumgruppe und keiner in der Placebogruppe auf die Therapie ansprach (Schöls et al. Brain 2017).
Inzwischen versuchten wir über einen AAV-vermittelten Gentransfer eine noch effektivere Reduktion von 27-OHC zu erreichen. Dies ist im Mausmodell bezüglich der 27-OHC-Spiegel im Blut sehr erfolgreich. Ob sich der Effekt langfristig auch ins Gehirn überträgt, muß noch untersucht werden (Wiora et al., submitted).