Forschungsschwerpunkte
Hintergrund und Bedeutung
Der Fortschritt auf dem Gebiet der Epigenetik schreitet schnell voran (1). Neben der Genetik und Proteomik positioniert sich die Untersuchung der globalen DNA-Methylierung und der Histonmodifikation als für das Verständnis neuropsychiatrischer Erkrankungen entscheidendes Forschungsfeld (2). Über den eigentlichen Code einer regulierenden DNA-Sequenz hinaus wurden in letzter Zeit mehrere weitere Ebenen der epigenetischen Transkriptionskontrolle entdeckt. Die Methylierung von CpG-Dinukleotiden (Cytosine) in der DNA bildet den grundlegenden Mechanismus zur Regulierung der Genexpression und ist eine häufig auftretende biochemische Veränderung der DNA im menschlichen Genom. Die Hypermethylierung von CpG-reichen Regionen (CpG-Inseln, CGI) lässt sich in regulierenden 5'-Bereichen oft beobachten; die methylierungsabhängige Unterdrückung von Tumorsuppressorgenen ist ein weithin anerkannter Mechanismus der Pathogenese von Krebs.
Während man bislang davon ausging, dass es sich um eine zumindest beim Erwachsenen langfristige Festlegung handelt, erweist sich die Methylierung bei der Regulierung der Expression neuronaler Gene als dynamisch (1, 3). Aktuelle Daten deuten darauf hin, dass nicht nur bei klassischen monogenetischen epigenetischen Erkrankungen (d. h. Beckwith-Wiedemann-Syndrom und Prader-Willi-Syndrom), sondern auch bei anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen epigenetische Faktoren eine Rolle spielen (4).
Forschungsgegenstand
Epigenetische Prozesse könnten auch entscheidend an Alterungsprozessen beteiligt sein, da bei vielen Genen im mittleren Alter tiefgreifende Veränderungen der Methylierung auftreten (3). Somit liegt die Vermutung nahe, dass altersbedingte Erkrankungen (z. B. Alzheimer-Krankheit/AK, Parkinson-Krankheit = Morbus Parkinson/MP) durch veränderte Methylierungsmuster ausgelöst werden.
In der Tat wird der MP nur selten nach den mendelschen Regeln vererbt. Außerdem deuten Zwillingsstudien darauf hin, dass genetische Faktoren nur zu einem geringen Teil zum Auftreten des sporadischen Parkinson-Syndroms beitragen. Lediglich bei Patienten mit einem sehr frühen Krankheitsausbruch kommen klassische genetische Faktoren stärker zum Tragen. Zum einen wird angenommen, dass die Kombination verschiedener genetischer Polymorphismen, die jeweils einzeln keine pathogene Wirkung entfalten, die Wahrscheinlichkeit für den Ausbruch von MP erhöht. Zum anderen stellen wir die Hypothese auf, dass die Methylierung von α-Synuclein (SNCA) zu einer Anfälligkeit für MP führt (5). Mutationen am SNCA-Gen sind entscheidend für das Risiko, an MP zu erkranken, und eine erhöhte Gen-Dosis verursacht das familiäre Parkinson-Syndrom.
Nach unseren Erkenntnissen schwächt die Methylierung des SNCA-Gens (Intron 1) die Genexpression, während die Hemmung der DNA-Methylierung die SNCA-Proteinexpression aktiviert. In unserer Untersuchung war die Methylierung des SNCA-Gens (Intron 1) in der DNA aus Substantia nigra, Putamen und Cortex von Patienten mit sporadischem MP vermindert, was auf eine bislang unerkannte epigenetische Regulierung der SNCA-Expression beim MP hindeutet. Eine abweichende DNA-Methylierung könnte daher einen pathogenen Mechanismus für MP und möglicherweise weitere neurodegenerative Erkrankungen darstellen (5–7).
Problemstellung
Neben der DNA-Methylierung im 5'-Bereich spielen wahrscheinlich auch die Acetylierung, Methylierung, Phosphorylierung und Ubiquitinierung von Histonen für den Schweregrad des Risikos von neuropsychiatrischen Erkrankungen eine Rolle. Bisher haben nur wenige Studien die komplexen Veränderungen von Histonen untersucht, und die Identifizierung von Multiproteinkomplexen und Kofaktoren (SMRT, NCor, Sin5a usw.), die für HDACs benötigt werden, steckt noch in den Anfängen (7, 8).
Aktuelle Forschungsaktivitäten
Laufende Studien gehen der Frage nach, ob Veränderungen am Methylierungsmuster auch in Monozyten aus dem peripheren Blut von Patienten mit MP vorhanden sind und als Biomarker dienen können. Außerdem wird die Auswirkung des methylbindenden Proteins MeCP2 auf die Expression von α-Synuclein untersucht. Ein weiteres laufendes Projekt beschäftigt sich mit den Auswirkungen einer dopaminergen Stimulation auf die Methylierung.
Forschungsziele und -perspektiven
Die Epigenetik-Gruppe wird sich im Hinblick auf Gene, die für MP eine Rolle spielen, zum einen auf die verwobenen Muster der DNA-Methylierung, zum anderen auf die Acetylierung und Methylierung von Histonen konzentrieren. Ziel ist eine integrierte Chromatin-Analyse von Mustern der DNA-Methylierung und von Histon-Veränderungen. Im Einzelnen soll der Methylierungszustand des SNCA-Gens für unterschiedliche Gewebe von MP-Patienten (ZNS und periphere Lymphozyten) bestimmt und der globale Methylierungszustand in einem genomweiten Ansatz untersucht werden, um andere differenziell methylierte Gene zu identifizieren. Zudem sollen in Zusammenarbeit mit der Epigenetik-Plattform NGFN-Plus anwendbare Techniken entwickelt werden (langfristiges Ziel: Methylierungschips für MP-Patienten), wobei ein besonderer Schwerpunkt auf den Regionen der Sequenz liegt, die für die Genexpression relevant sind.
Bisherige Forschungsarbeiten
In der Vergangenheit untersuchte das neurobiologische Forschungslabor von Prof. Wüllner, der als Leiter der Genbank des Kompetenznetzes Parkinson tätig war, genetische Varianten von DNA-Sequenzen bei Morbus Parkinson [Paus, 2004, Möller 2004, Healy, 2004; Buervenich, 2005, Mueller, 2005; Biskup, 2005, Wüllner, 2005; Fuchs, 2008]. Die transkriptionelle Regulation war bereits in der Vergangenheit ein wichtiger Schwerpunkt bei der Erforschung von Polyglutaminerkrankungen: Das Labor identifizierte die regulierende, transkriptionelle Aktivität von Ataxin-3, dem pathogenen Protein bei Spinocerebellar ataxia des Typs 3. Diese Polyglutaminerkrankung ist gekennzeichnet durch intraneuronale Proteinaggregate aufgrund von Histon-Deacetylase 3 (HDAC3) (Evert, 1999. 2001, 2003, 2006a, b; Müller, 2009). Zudem wurde die epigenetische Regulation der Expression des entzündungsfördernden Tumornekrosefaktors(TNF)-α beschrieben. Dies ergab, dass die TNF-Expression in bestimmten Zellpopulationen vom Methylierungszustand einzelner CpGs im TNF-α-Promotor abhängt (Pieper, 2008). Auch bei Alzheimer-Patienten war das Methylierungsmuster des TNF-α-Promotors verändert (Kaut, eingereicht). Der Vergleich der DNA aus verschiedenen Gehirnregionen von MP-Patienten und neurologisch gesunden, hinsichtlich Alter und Geschlecht vergleichbaren Kontrollpersonen durch Bisulfit-Sequenzierung ergab, dass bei MP ein verborgener Promotor des SNCA-Gens hypomethyliert wird (Jowead, 2010).
Tragweite und Perspektiven
Die Bedeutung der Epigenetik für Erkrankungen des zentralen Nervensystems wird gerade erst erkannt. Epigenetische Veränderungen bilden vermutlich die fehlende Verbindung zwischen Genen und Umwelt und bestimmen wahrscheinlich den Schwergrad des (epi‑)genetischen Risikos für neurodegenerative Erkrankungen mit. Insgesamt ist nur sehr wenig über die Methylierung bestimmter Gene und vermutliche Veränderungen von Histonen bei neurodegenerativen Erkrankungen bekannt. Sollten krankheitsspezifische Veränderungen erkannt werden, hätte dies weitreichende Folgen: Veränderungen am Methylierungszustand könnten dann anhand methylspezifischer PCR- und anderer Techniken eine frühe Diagnose ermöglichen. Mit der Entwicklung von Instrumenten zur sequenzspezifischen Modulation des Methylierungszustands könnten eines Tages neue Therapieansätze gelingen.
Literaturnachweis
1Suzuki MM, Bird A. Nat Rev Genet 2008; 9: 465–76.
2 Huang HS, Akbarian S. PLoS One. 2007, 29. Aug.; 2(8): e809.
3 Siegmund KD, Connor CM, Campan M et al. PLoS ONE 2007; 2: e895.
4 Chahrour M, Zoghbi HY. Neuron 2007; 56: 422–37.
5 Jowaed A, Schmitt I, Kaut O, Wüllner U. JNeurosci, 2010 30(18): 6355–92010.
6 Kaut O, Schmitt I, Wüllner U. Neurogenetics. 2012 (1): 87–91. Epub 2012, 12. Jan.
7 Weng MK, Zimmer B, Pöltl D, Broeg MP, Ivanova V, Gaspar JA, Sachinidis A, Wüllner U, Waldmann T, Leist M. PLoS One. 2012; 7(5): e36708. Epub 2012, 9. Mai.
8 Schmitt I, Wüllner U, van Rooyen JP, Khazneh H, Becker J, Volk A, Kubisch C, Becker T, Kostic VS, Klein C, Ramirez A. Eur J Hum Genet. 2012 23. Mai. doi: 10.1038/ejhg.2012.84. [elektronische Vorabveröffentlichung]