Auffälligkeiten in der körperlichen neurologischen Untersuchung als Indikator für Alzheimer-Verlauf

Patienten mit kognitiven Störungen wie Gedächtnisverlust zeigen oft auch Auffälligkeiten in der klinisch-neurologischen Untersuchung. Dieser Zusammenhang lässt sich für eine Vorhersage der Krankheitsentwicklung nutzen, wie jetzt Forschende vom DZNE in München zeigen.

Die Befunde von neurologischen Untersuchungen könnten künftig einen weitreichenderen Einfluss auf die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Alzheimer-Erkrankung bekommen: Auffällige klinisch-neurologische Untersuchungsbefunde wie eine Gangstörung oder gesteigerte Muskeleigenreflexe stehen offenbar in engem Zusammenhang mit dem Fortschreiten der Erkrankung. „Circa zwei Drittel der untersuchten Alzheimer-Patienten wiesen Auffälligkeiten in der klinisch-neurologischen Untersuchung im nicht-kognitiven Bereich auf“, sagt Dr. Jonathan Vöglein, der am DZNE in München forscht und Erstautor der Studie ist, die jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Alzheimer’s & Dementia erscheint.

Für ihre Arbeit haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Jonathan Vöglein und Johannes Levin, Professor für klinische Neurodegeneration am DZNE in München und LMU Klinikum, auf Daten aus der weltweiten Beobachtungsstudie DIAN („Dominantly Inherited Alzheimer Network“) zurückgegriffen. In dieser Studie werden Menschen untersucht, die an einer seltenen erblichen Alzheimer-Variante erkrankt sind oder ein stark erhöhtes Risiko für die Erkrankung aufweisen. „Die Symptome der autosomal dominant vererbten Alzheimer-Erkrankung treten im Durchschnitt schon mit Anfang bis Mitte 40 auf. Hierdurch ist es möglich, die Alzheimer-Erkrankung unabhängig von altersassoziierten Komorbiditäten zu untersuchen“, erläutert Jonathan Vöglein, der auch am LMU Klinikum in München als Neurologe arbeitet. Bei der sporadischen Alzheimer-Form sind die Patienten häufig schon älter als 70, wenn sie erkranken – und haben in vielen Fällen aufgrund ihres Alters körperliche Einschränkungen. Dadurch lässt sich nur schwer bewerten, ob Auffälligkeiten in der neurologischen Untersuchung durch eine Alzheimer-Erkrankung verursacht sind - oder ob sie auf Begleiterkrankungen zurückzuführen sind. Die deutlich jüngeren Patienten, die jetzt die Grundlage für die neue Untersuchung bildeten, sind hingegen zumeist körperlich fit, wenn sie an Alzheimer erkranken. Hierdurch können auffällige neurologische Untersuchungsbefunde klarer der Alzheimer-Erkrankung zugeordnet werden.

Die klinisch-neurologische Untersuchung gehört für Neurologinnen und Neurologen zum Standardrepertoire. Sie umfasst unter anderem ein Untersuchung der Hirnnerven, der Motorik, der Muskelreflexe, der Koordination und der Sensibilität. „Die klinisch-neurologische Untersuchung bildet neben der Erhebung der Krankengeschichte die Basis für die Behandlung von Menschem mit Erkrankungen des Nervensystems“, erklärt Levin. Bislang allerdings wurde nicht ausgewertet, ob Auffälligkeiten in dieser klassischen Untersuchung mit der Alzheimer-Erkrankung in Verbindung stehen könnten. Vöglein und Levin stellten jetzt zusammen mit ihren Kollegen beim Blick auf die jungen Probanden aus der DIAN-Studie fest, dass bei zwei Drittel von ihnen klinisch-neurologische Auffälligkeiten auftreten. Häufige Befunde sind gesteigerte Muskeleigenreflexe, eine Gangstörung, Zittern, eine erhöhte Muskelspannung oder auch  ruckartige Blickfolgebewegungen.

Die Autorinnen und Autoren der Studie fanden heraus: Sind Auffälligkeiten in der körperlichen neurologischen Untersuchung vorhanden, sind die kognitiven Einschränkungen stärker ausgeprägt. „Es zeigte sich, dass Auffälligkeiten in der klinisch-neurologischen Untersuchung von schlechteren kognitiven Leistungen begleitet werden und sogar hilfreich sein können, einen schwereren Erkrankungsverlauf vorherzusagen“, so Johannes Levin. Vereinfacht lässt sich sagen: Falls Auffälligkeiten in der körperlichen neurologischen Untersuchung im nicht-kognitiven Bereich vorhanden sind, schreitet die Alzheimer-Erkrankung schneller voran. Und die Unterschiede im Verlauf sind bemerkenswert: In der Studie verschlechterte sich die kognitive Leistung bei Patienten mit Auffälligkeiten in der klinisch-neurologischen Untersuchung mehr als doppelt so schnell wie bei jenen ohne auffällige Untersuchungsbefunde.

Das Entscheidende an der Studie: Die Ergebnisse könnten sich auch auf jene Patienten übertragen lassen, die an der sporadischen Alzheimer-Form leiden – und das ist der überwiegende Teil der Fälle. „Die autosomal dominant vererbte und die sporadische Alzheimer-Erkrankung sind sich sehr ähnlich, weshalb eine Übertragbarkeit der Ergebnisse unter Beachtung des Patientenalters und Begleiterkrankungen möglich sein kann. Diesbezüglich sind weitere Untersuchungen sinnvoll“, sagt Vöglein.

Die Studie der DZNE-Forscher kann Alzheimer-Patienten künftig unmittelbar zugutekommen: Bislang gibt es kaum Indikatoren, anhand derer sich der Verlauf der Erkrankung vorhersagen lässt. Je präziser das allerdings möglich ist, desto besser können Ärztinnen und Ärzte den Behandlungsplan individuell abstimmen.

Originalpublikation

Pattern and implications of neurological examination findings in autosomal dominant Alzheimer disease.
Jonathan Vöglein et. al.
Alzheimer’s & Dementia (2022).
DOI: 10.1002/alz.12684

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