„Die Entscheidung ist nicht nachvollziehbar“

Experten-Stimmen des DZNE zur „Lecanemab“-Ablehnung durch EU-Arzneimittel-Agentur

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat sich gegen eine Zulassung des neuartigen Alzheimer-Medikaments „Lecanemab“ (Markenname: Leqembi) ausgesprochen. Die zu erwartende Wirkung würde das Risiko von Nebenwirkungen nicht aufwiegen, so die Begründung der EMA.

Experten des DZNE sind sich zwar möglicher Risiken des Medikaments bewusst, die in bestimmten Fällen auftreten können, bedauern aber die Entscheidung der EMA ausdrücklich:

„Alzheimer ist eine globale Pandemie und die Zulassungsempfehlung von Lecanemab wäre ein wichtiger Schritt gewesen, um diese schwerwiegende Erkrankung auch in Europa besser in den Griff zu bekommen. Die Entscheidung der EMA gegen eine Zulassungsempfehlung ist nicht nachvollziehbar, auch im Hinblick darauf, dass Lecanemab bereits in anderen Ländern zugelassen wurde“, sagt Prof. Dr. Dr. Pierluigi Nicotera, wissenschaftlicher Vorstand und Vorstandsvorsitzender des DZNE. „In den USA, Japan und weiteren Ländern, die der Zulassung zugestimmt haben, steht der dringende, bislang unerfüllte Bedarf von Betroffenen nach neuen Therapiemöglichkeiten deutlich im Vordergrund. Lecanemab ist wirksam, wenn es in sehr frühen Stadien der Alzheimer-Krankheit verabreicht wird.“ Den europäischen Patienten hingegen, die sich jetzt im idealen Zeitfenster für eine Behandlung mit dem Medikament befänden, entgehe diese Therapiechance nun, so Nicotera.

„Viele Patientinnen und Patienten sowie Angehörige und Fachleute hatten auf Lecanemab gewartet“, stellt auch Prof. Dr. Gabor Petzold fest, Direktor der Klinischen Forschung am DZNE und Neurologe am Uniklinikum Bonn. Die Ablehnung des Medikaments enttäusche die Hoffnung vieler Betroffener und ihrer Familien, die auf neue Alzheimer-Therapien angewiesen seien. „Wir verlieren hier die Chance auf eine wertvolle und im Frühstadium der Erkrankung wirksame Therapiemöglichkeit. Das Medikament kann zwar Nebenwirkungen haben. Diese sind jedoch durch gezielte Voruntersuchungen, um für die Behandlung geeignete Patienten zu identifizieren, sowie auch regelmäßige Kontrolluntersuchungen des Gehirns mittels Magnetresonanztomografie bei den meisten Patienten früh erkennbar und gut beherrschbar“, erklärt Petzold. „Europa beschreitet hier einen Sonderweg und fällt in der klinischen Forschung zurück, wenn nun keine Erfahrungen in der ärztlichen Anwendung mit diesem Wirkstoff gemacht werden können.“

Prof. Dr. Johannes Levin, Stellvertretender Leiter der Klinischen Forschung am DZNE München sowie Neurologe am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, ergänzt: „Die Ablehnung der Zulassung von Lecanemab ist ein unerwarteter Rückschlag, denn diese Therapieform ist die erste, die direkt an den Ursachen der Krankheit ansetzt und trotz begrenztem Nutzen einen echten Durchbruch darstellt.“ Zudem hätte es bei einer Zulassung die Möglichkeit gegeben, die Therapie zunächst auf Patientengruppen zu fokussieren, bei denen ein besonders günstiges Wirkungs-Nebenwirkungsverhältnis von Lecanemab zu erwarten sei. „Diese Diskussion kann nun nicht geführt werden.“ Weiter könnte die Entscheidung das Risiko für eine Zweiklassenmedizin schaffen, da wohlhabende Patienten in Europa das Medikament über internationale Apotheken kaufen und sich damit auf eigene Kosten behandeln lassen könnten, so Levin.

Prof. Dr. Frank Jessen, Mitglied des Leitungsgremiums der Klinischen Forschung am DZNE und Psychiater an der Uniklinik in Köln, fügt hinzu: „Die Länder, in denen Lecanemab zugelassen wurde, z.B. die USA, haben detaillierte Aufklärungs- und Behandlungsempfehlungen entwickelt inklusive Ein- und Ausschlusskriterien sowie Vorgaben für das Nebenwirkungsmonitoring. Dadurch werden Patienten in die Lage versetzt, gemeinsam mit ihren Angehörigen und ihrem Arzt eine informierte individuelle Entscheidung für oder gegen die Behandlung zu treffen. Die Empfehlung der EMA entzieht dagegen allen Patienten in der EU grundsätzlich die Möglichkeit, diese Behandlung in Anspruch zu nehmen.“

Prof. Dr. Dr. h.c. Christian Haass, Sprecher des Münchner Standorts des DZNE und Biochemiker an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sagt: „Als Wissenschaftler, der seit Jahrzehnten die Rolle von Amyloid-Proteinen bei der Entstehung von Alzheimer erforscht, bin ich persönlich entsetzt über die Entscheidung der EMA. Unsere Forschung und die vieler Kolleginnen und Kollegen hat gezeigt, dass schädliche Amyloid-Ablagerungen im Gehirn, sogenannte Plaques, eine zentrale Rolle bei der Alzheimer-Erkrankung spielen und einen wichtigen Ansatzpunkt für neue Therapien darstellen. Lecanemab setzt direkt an den Ursachen der Krankheit an, indem es hilft, die Plaques im Gehirn abzubauen. Diese gegen Amyloid-Ansammlungen gerichtete Therapieform reduziert aber nicht nur die Plaques, sondern gleichzeitig auch weitere krankhafte Veränderungen wie Ansammlungen eines weiteren Proteins namens Tau im Gehirn und das Absterben von Nervenzellen.“ Das gehe einher mit einer Verbesserung der täglichen Aktivitäten von Patientinnen und Patienten von bis zu 38 Prozent, so dass sie ihren Alltag besser bewältigen können, erklärt Haass. „Durch die Ablehnung der Zulassung schließen sich jetzt endgültig Therapiefenster von zahllosen Patientinnen und Patienten in Europa, die durch diese Immuntherapie wertvolle Zeit und Lebensqualität gewonnen hätten.“

Juli 2024

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