Partizipation an der Demenzforschung hat positive Effekte
Ergebnisse einer Befragung des DZNE
Menschen mit Demenz in die Demenzforschung aktiv einzubinden – dies ist eines der Ziele der Nationalen Demenzstrategie. Die Effekte einer solchen „Partizipation“ sind bislang wenig untersucht. Ein Team des DZNE hat nun Menschen mit Demenz als „Co-Researcher“ an einem Projekt beteiligt und sie zu ihren Erfahrungen interviewt. Fazit: Selbstwahrnehmung und Gefühlslage profitierten von der Mitwirkung an einem Forschungsprojekt. Prof. René Thyrian, Forschungsgruppenleiter am DZNE-Standort Rostock/Greifswald, schildert Hintergründe und Ergebnisse.
Herr Thyrian, um was ging es bei Ihrer Untersuchung?
Die Förderung der sozialen Teilhabe von Menschen mit Demenz ist ein wichtiges Ziel der Nationalen Demenzstrategie. Denn noch immer kommt es vor, dass Menschen mit Demenz ausgegrenzt werden. Dabei können sie gerade im Frühstadium der Erkrankung an gesellschaftlichen Aktivitäten, vielleicht mit gewissen Einschränkungen aber dennoch teilnehmen. Ein Aspekt dieser Teilhabe ist die Mitwirkung an der Demenzforschung. Und zwar die aktive Mitwirkung. Natürlich wird und muss über Menschen mit Demenz und ihre Erkrankung geforscht werden. Dann sind sie passiv beteiligt. Es geht aber auch darum, Forschung durch ihre aktive Teilnahme zu verbessern. Und unsere Untersuchung zeigt, dass es für diese Menschen Sinn macht, sie zu involvieren.
Das nennt man dann Partizipation?
Korrekt. Bislang gibt es damit wenig Erfahrung. Insbesondere weiß man wenig darüber, wie sich dieses Engagement auf Menschen mit Demenz psychologisch auswirkt. Was gibt es für Effekte auf ihre emotionale Verfassung? Das haben wir in einer kleinen Stichprobe untersucht.
Nämlich?
Wir haben zwei Frauen und zwei Männer, die sich an einem Forschungsprojekt aktiv beteiligten, zu ihren Erfahrungen interviewt. Alle vier mit Demenz, in der einen oder anderen Form. Sie waren allerdings in einer frühen Phase der Erkrankung. Die Altersspanne lag zwischen 45 und 80 Jahren.
Das ist in der Tat eine kleine Gruppe
Das stimmt, aber es gibt bislang nur wenige Menschen mit Demenz, die Forschungsprojekten auf diese besondere Weise mitgestalten. Unsere Studie ist auch sicher nur ein erster Anfang, um diese Thematik wissenschaftlich zu erschließen.
An welcher Art von Forschungsprojekt waren diese Personen beteiligt?
Es ging um die Einführung von Dementia Care Management in Siegen-Wittgenstein. Das ist ein Landkreis in NRW.
Was hat es damit auf sich?
Dementia Care Management hat den Anspruch, die häusliche Versorgung von Menschen mit Demenz zu verbessern. Speziell ausgebildete Fachkräfte mit pflegerischem Hintergrund besuchen dazu Menschen mit Demenz in deren eigenen vier Wänden. Sie schauen vor Ort, wo der Schuh drückt und wie man die Lebenssituation verbessern kann. Dies geschieht dann in enger Abstimmung mit den beteiligten Behandelnden, unter anderem dem Hausarzt. Überdies übernehmen sie eine Lotsenfunktion. Sie helfen zum Beispiel bei der Beauftragung von Pflegediensten und beim Schriftwechsel mit den Kassen.
Dementia Care Management wurde ja vom DZNE entwickelt …
Genau und deshalb arbeiten wir intensiv daran, dieses Konzept in die Regelversorgung einzuführen. Dazu muss es an die jeweilige Region anpasst werden. Die Lage ist ja nicht überall gleich. Im ländlichen Raum sind die Versorgungsstrukturen in puncto Pflege und ärztliche Praxen andere als in Ballungszentren – die Bedarfe sind unterschiedlich. Im genannten Projekt geht es spezifisch um die Einführung des Dementia Care Management im Kreis Siegen-Wittgenstein. Die erforderlichen Maßnahmen werden mit den Leuten vor Ort erarbeitet.
Wie waren jene vier Personen beteiligt, die Ihr Team interviewt hat?
Sie waren gemeinsam mit zwei Wissenschaftlerinnen teil eines Gremiums, dass das Projekt mitgestaltet hat. Dieser Kreis traf sich in der Regel monatlich, für jeweils rund eineinhalb Stunden. Zum Zeitpunkt unserer Untersuchung waren die vier Befragten seit acht Monaten Mitglieder des Beirats. Und damit sogenannte Co-Researcher.
Was wollten Sie herausfinden?
Unsere Frage war: Was macht dieses Amt des Co-Researchers mit den Menschen selbst? Zunächst haben wir daher einen Leitfaden entwickelt. Er diente dazu, im Rahmen eines Interviews bestimmte Themen anzusprechen beziehungsweise abzufragen. Es gibt dafür etablierte Vorgehensweisen aus der psychologischen Forschung. Die Fragen drehten sich über die Mitwirkung am Projekt und was dabei empfunden wurde. Haben Sie sich auf die Treffen gefreut? Was waren Ihre Aufgaben? Wie war die Zusammenarbeit innerhalb des Beirats? War die Arbeit anstrengend? War sie zufriedenstellend? Die Interviews dauerten bis zu knapp einer Stunde.
Wie ging es weiter?
Die Antworten wurden in Passagen unterteilt und dabei einer von insgesamt 23 Kategorien zugeordnet. Aussagen wurden dadurch bestimmten Emotionen und Wahrnehmungen zugewiesen – zum Beispiel: Freude, Stolz oder auch Soziale Kommunikation. Zwei Fachleute haben diese Einteilung zunächst unabhängig voneinander vorgenommen und sich schließlich auf eine gemeinsame Auswertung verständigt. Das geschah nach bewährten Kriterien für die Analyse solcher Befragungen.
Was haben Sie festgestellt?
Es hat einen positiven Effekt, wenn Menschen mit Demenz auf diese aktive Weise in den Forschungsprozess einbezogen werden. Einen positiven Effekt für sie ganz persönlich. Sie erfahren Wertschätzung, haben sozialen Umgang und das Gefühl etwas Sinnvolles zu tun. Sie profitieren also von ihrer Mitwirkung. Die Botschaft ist daher: Es macht auch für Euch persönlich Sinn, dass ihr mitmacht. Wir gehen davon aus, dass diese Teilnahme zur Akzeptanz von Dementia Care Management beiträgt und die Einführung in die Praxis erleichtert. Ob dem so ist, also inwiefern das Projekt profitiert, wollen wir uns weiteren Untersuchungen anschauen.
Originalpublikation
The psychological effects of research participation on people with dementia: findings from a German exploratory interview study.
Katja Seidel et al.
Frontiers in Dementia (2024).
DOI: 10.3389/frdem.2024.1421541
September 2024, Interview: Marcus Neitzert