Zwei Münchner Neurowissenschaftler mit Best Paper Award 2023 der DZNE Stiftung ausgezeichnet
Im vergangenen Jahr hat die DZNE-Stiftung zum zweiten Mal einen Preis für die beste wissenschaftliche Einzelpublikation aus dem DZNE München ausgeschrieben. Eingereicht werden für den „Best Paper Award 2023“ konnten Publikationen von Erstautorinnen und -autoren aus der Grundlagen-, klinischen, epidemiologischen oder Versorgungsforschung unseres Münchner Standorts.
Die Paper sollten in den letzten zwölf Monaten vor der Ausschreibung in anerkannten internationalen Fachzeitschriften erschienen sein und entscheidende Forschungsbeiträge zu Krankheitsentwicklung, Diagnose, Therapien neurodegenerativer Erkrankungen oder zur Versorgung von Betroffenen geliefert haben.
Die Bekanntgabe der beiden Preisträger und die Preisverleihung fanden kürzlich im DZNE München statt: Den mit jeweils 500 Euro dotierten Preis für die beste Publikation erhielten PD Dr. Jonathan Vöglein (AG Prof. Johannes Levin) für den Fachartikel „Pattern and implications of neurological examination findings in autosomal dominant Alzheimer disease”, erschienen in der Zeitschrift „Alzheimer’s & Dementia“, und Karsten Nalbach (AG Prof. Stefan Lichtenthaler, zuvor AG Prof. Christian Behrends, LMU) für den Fachartikel „Spatial proteomics reveals secretory pathway disturbances caused by neuropathy-associated TECPR2“, der in „Nature Communications“erschienen ist.
Alzheimer: Auffälligkeiten in der körperlichen Untersuchung sagen weiteren Krankheitsverlauf voraus
Die klinisch-neurologische Untersuchung gehört für Neurologinnen und Neurologen zum Standardrepertoire und bildet neben der Erhebung der Krankengeschichte die Basis für die Behandlung von Menschen mit Erkrankungen des Nervensystems: Sie umfasst unter anderem eine Untersuchung der Hirnnerven, der Motorik, der Muskeleigenreflexe, der Koordination und der Sensibilität. Bislang wurde allerdings nicht analysiert, ob körperliche Auffälligkeiten in der klinisch-neurologischen Untersuchung mit der Alzheimer-Erkrankung in Verbindung stehen könnten. Der Neurologe Jonathan Vöglein hat gemeinsam mit seinen Kollegen festgestellt, dass bei jungen Patienten mit genetischer Alzheimer-Erkrankung zwei Drittel der Betroffenen Auffälligkeiten zeigen, die nicht der medizinischen Norm entsprechen: Häufige Befunde sind gesteigerte Muskeleigenreflexe, Gangstörung, Zittern, erhöhte Muskelspannung oder auch ruckartige Blickfolgebewegungen. Dafür nutzten die Forschenden Daten aus der weltweiten Beobachtungsstudie DIAN („Dominantly Inherited Alzheimer Network). In dieser Studie werden Menschen untersucht, die an einer seltenen erblichen Alzheimer-Variante erkrankt sind, was mit einem sehr frühen Ausbruch der Krankheit, im Mittel im 45. Lebensjahr, einhergeht. Man erhofft, durch diese Erkenntnisse auch ein besseres Verständnis für die weitaus häufigere Variante der Alzheimerdemenz zu entwickeln, die meistens erst im Alter bemerkbar wird.
Jonathan Vöglein und Kollegen werteten die Daten aus der Studie aus und fanden heraus, dass solche körperlichen Auffälligkeiten mit stärkeren kognitiven Einschränkungen einhergehen und sogar hilfreich sein können, einen schwereren Erkrankungsverlauf vorherzusagen. In der DIAN-Studie verschlechterte sich die kognitive Leistung bei Patienten mit Auffälligkeiten in der klinisch-neurologischen Untersuchung mehr als doppelt so schnell wie bei jenen ohne solche Auffälligkeiten. Passend hierzu zeigten Gehirnscans eine ausgeprägtere Alzheimer-typische Hirnschrumpfung bei Patienten mit auffälligen neurologischen Untersuchungsbefunden. Daher können die Erkenntnisse von Vöglein und Kollegen für die Planung von Alzheimer-Therapiestudien von Bedeutung sein. Zudem können sie künftig auch Alzheimer-Patienten direkt zugutekommen, indem der Krankheitsverlauf präziser vorhergesagt und somit der ärztliche Behandlungsplan individuell abgestimmt werden kann.
Tödliche Nervenerkrankung bei Kindern: Dem Krankheitsmechanismus auf der Spur
Der Molekularbiologe Karsten Nalbach und seine Kollegen haben die zellulären Grundlagen der seltenen Kinder-Neuropathie HSAN9 erforscht. HSAN9 ist eine erbliche Erkrankung des peripheren Nervensystems, welche sich durch fortschreitende Lähmungen, Entwicklungsstörungen sowie autonome und sensorische Defekte auszeichnet. Zu den sensorischen Störungen zählen Taubheit, Kribbeln, Schmerzen und ein verringertes Schmerzempfinden in Armen und Beinen. Autonome Störungen können Schwierigkeiten bei der Regulation von Blutdruck, Herzfrequenz, Schweißproduktion und Verdauungsfunktionen beinhalten. Erste Krankheitsanzeichen zeigen sich in der frühen Kindheit, betroffene Patienten sterben in der Regel vor dem 20. Lebensjahr. Die Erkrankung ist bislang nicht heilbar.
Ursache für HSAN9 ist durch einen Gendefekt bedingter Mangel an einem Protein namens TECPR2, das natürlicherweise in unseren Zellen vorkommt. TECPR2 ist wichtig für den Zellstoffwechsel, insbesondere den Abbau von fehlgefalteten Proteinen oder beschädigten Zellbestandteilen durch die sogenannte Autophagie. Es spielt auch eine Rolle beim Transport und der Freisetzung von Proteinen. Bislang gab es nur wenig Forschungsarbeiten darüber, wie genau TECPR2 diese Prozesse beeinflusst und welche Folgen dies für die Zellen hat. Nalbach und Kollegen haben das im Labor anhand von Zellmodellen genauer untersucht, insbesondere den Transport von Proteinen. Die Forschenden fanden heraus, dass in Zellen mit zu wenig TECPR2 die Freisetzung von Proteinen aus dem Endoplasmatischen Retikulum, einem wichtigen Teil der Zelle, gestört ist. Das hat Auswirkungen auf andere Teile der Zelle. Zudem ist der Transport mehrerer Proteine, die wichtige Funktionen im Nervensystem haben, beeinträchtigt.
Die Erkenntnisse von Nalbach und seinen Kollegen tragen dazu bei, zu verstehen, wie TECPR2 den zellulären Proteinhaushalt beeinflusst. Zukünftige Studien erhalten dadurch eine Orientierungshilfe, um entsprechende Veränderungen in neuronalen Systemen sowie in Tiermodellen zielgerichtet untersuchen zu können und damit die Grundlage für die Entwicklung von Wirkstoffen für Kinder zu schaffen, die gezielt die Krankheitsmechanismen adressieren.
Über die Vergabe des Preises entschied eine Jury aus internationalen Fachleuten. Die Fördermittel wurden der DZNE-Stiftung von einer Spenderin zur Verfügung gestellt, um gezielt die Forschung am Standort München zu unterstützen. In den nächsten drei Jahren wird der Best Paper Award der DZNE-Stiftung daher weiterhin einmal jährlich am Standort München vergeben werden.
Die nächste Ausschreibung für den Best Paper Award des Standorts München erfolgt im Herbst 2024.