Demenz

Die stille Pandemie

Einige negative Auswirkungen des demografischen Wandels unserer Gesellschaft sind durch die Corona-Pandemie besonders schmerzhaft zutage getreten. Die Ausbreitung des Sars-Cov-2-Virus mit seinen Varianten hat vor allem in der älteren Bevölkerung einen hohen Tribut an Menschenleben gefordert. Damit wird noch einmal in aller Deutlichkeit unterstrichen, was wir alle sowieso längst wissen: dass die Alterung der Bevölkerung einhergeht mit einer höheren Anfälligkeit für Erkrankungen. Deutlich wurde aber auch, dass eine Überbelegung der Krankenhäuser mit schwerkranken Patienten zu erheblichen Verzögerungen bei der Versorgung anderer Patienten führen kann. Langfristig werden genau diese Menschen mit schwerwiegenden Erkrankungen das Gesundheitssystem sowohl sozial als auch wirtschaftlich belasten. Bis heute wurden in Deutschland mehr als 2,5 Millionen Menschen positiv auf Covid-19 getestet; von diesen sind tragischerweise rund 72.000 gestorben. Im Moment ist kaum abzuschätzen, wie viele weitere Personen, die an akuten oder chronischen Erkrankungen leiden, aufgrund der Corona-Notlage nicht angemessen behandelt wurden. Ebenfalls schwer zu schätzen ist die Zahl der eigentlich geplanten, dann aber aufgeschobenen Behandlungen zur Vorsorge oder Vermeidung akuter Erkrankungen wie z. B. Herzinfarkten.

Heute sind 1,8 Millionen Deutsche, meist ältere Menschen, von Demenz und etwa 250.000 von der Parkinson-Krankheit betroffen. Da es keine wirksamen Therapien gibt, die das Fortschreiten beider Krankheiten verlangsamen oder korrigieren, werden diese Patienten leider alle daran sterben. Ihre Pflege greift täglich in das Leben und die Tätigkeit zahlreicher anderer Menschen ein. Die Anzahl der Familien und professionellen Pflegekräfte, die in die Betreuung von Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen involviert sind, kann ohne weiteres dreimal so hoch sein wie die der von Demenz und anderen neurodegenerativen Erkrankungen betroffenen Menschen.

In Deutschland belaufen sich die jährlichen Gesamtkosten einer Person mit Demenz auf ca. 44.600 €. 46 % davon sind direkte medizinische Kosten, getragen von den Kranken- oder Pflegekassen, 54 % indirekte Kosten in Form des zeitlichen Aufwandes für die pflegenden Angehörigen sowie deren „Produktivitätsverluste“ aufgrund von Arbeitszeitreduzierung in der Erwerbstätigkeit.  Insgesamt sind die Gesundheitsausgaben für Menschen mit Demenz in Deutschland in den letzten Jahren überproportional angestiegen und machen derzeit 36 % der gesamten Sozialkosten für die über 65-Jährigen aus. Im Vergleich zu anderen Krankheiten werden diese Kosten in den kommenden Jahren weiter überproportional ansteigen. Bis zum Jahr 2060 könnten die Kosten für Demenz auf 195 Milliarden Euro pro Jahr ansteigen und damit 48 % der gesamten gesellschaftlichen Kosten der über 65-Jährigen ausmachen.  

Fügt man noch die Tatsache hinzu, dass praktisch alle Demenzpatienten Komorbiditäten entwickeln, die professionelle Pflege und Krankenhausaufenthalte erfordern, ist es nicht schwer, sich vorzustellen, was dem deutschen Gesundheitssystem bevorsteht: Wenn die Zahl der Demenzpatienten in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich 3 Millionen erreicht, werden wir vor einem Problem stehen, das wahrscheinlich noch ernster ist als die derzeitige Covid-Krise.

Ohne eine effektive Prävention oder Behandlung wird die Zahl der Demenz-Fälle stetig zunehmen. In Kombination mit den nicht vorhandenen Therapien hat diese Zunahme von Demenzerkrankungen bereits zu einem dramatischen Anstieg der Todesfälle aufgrund von Demenzerkrankungen geführt – so wurde z. B. in Großbritannien im Jahr 2018 die Demenz erstmals als häufigste Todesursache festgestellt. Auffällig ist, dass bei anderen Volkskrankheiten, bei denen langjährige Investitionen in Forschung und Medikamentenentwicklung zu Erfolgen sowohl bei der Behandlung als auch bei der Vorbeugung geführt haben, der Trend genau umgekehrt ist: Heute gibt es weniger Todesfälle durch Krankheiten wie Krebs, Schlaganfälle oder HIV. 

Natürlich sind die kurzfristigen Auswirkungen einer ansteckenden Krankheit nicht vergleichbar mit denen von chronischen, nicht übertragbaren Erkrankungen wie Krebs, Diabetes und auch Demenz. Chronische, nicht übertragbare Krankheiten erzwingen ganz einfach keine Lockdowns. 

Dennoch können die Auswirkungen von Demenz auf die Gesellschaft langfristig immens sein. Kosten im Gesundheitswesen spielen eine enorme Rolle, aber auch Kosten für die deutsche Wirtschaft und die Sozialsysteme – sie bedeuten eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Der demographische Wandel führt zu einem Rückgang des Bevölkerungsanteils im erwerbsfähigen Alter, während der Anteil der über 65-Jährigen stark ansteigen wird. Insbesondere der Anteil der Hochbetagten (älter als 80 Jahre), bei denen die Erkrankungswahrscheinlichkeit für eine Demenz bei 32 % liegt, wird zwischen 2040 und 2060 zunehmen und je nach Szenario im Jahr 2060 zwischen 9 % und 13 % der Gesamtbevölkerung ausmachen. Die Pflegekosten bei den Hochbetagten sind besonders hoch. Derzeit sind etwa 70 % der in Pflegeheimen betreuten Menschen 80 Jahre und älter. Die künftige junge Generation wird also nicht nur die sinkende Zahl der Erwerbstätigen auffangen, sondern auch mehr Pflege schultern müssen. Insgesamt ist nicht auszuschließen, dass die Kosten für die zunehmende Zahl der Demenzerkrankungen über die Jahre verteilt die Kosten für die Corona-Epidemie deutlich übersteigen.

Der Weg zur Lösung dieser fortschreitenden stillen Epidemie ist die Suche nach neuen Strategien zur Prävention und Therapie. Die G7 hatten deshalb im Jahr 2013 das Ziel einer Therapieentwicklung bis 2025 ausgegeben. Von der Verwirklichung sind wir leider noch weit entfernt. Die Ursachen für neurodegenerative Erkrankungen sind noch immer weitgehend unbekannt. Alzheimer und Parkinson sowie andere neurodegenerative Erkrankungen, die zu Demenz und motorischen Störungen führen, entwickeln sich Jahrzehnte, bevor sich die Symptome manifestieren. Deshalb benötigen wir Instrumente zur Frühdiagnose und zur schnellen Erprobung neuer Therapien in spezialisierten klinischen Forschungseinrichtungen. Darüber hinaus müssen wir neue Strategien in der Krankenversorgung umsetzen, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und den Bedarf an stationärer Versorgung zu reduzieren

Ausstattung und Wirkung des DZNE

Das DZNE wurde 2009 von Bund und Ländern als erstes der Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung (DZG) gegründet. Ziel war es, durch hochqualifizierte Forschung neue Therapien und Präventionsstrategien sowie neue Versorgungsprotokolle zu entwickeln. Im Laufe der Jahre hat sich das DZNE zu einer führenden Institution in der Erforschung von Demenz und anderen Hirnerkrankungen entwickelt. Laut einer unabhängigen Bewertung von Elsevier im Jahr 2019 gehört das DZNE zu den weltweit zehn besten Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet der Demenzforschung. Insbesondere bei der Qualität der veröffentlichten Publikationen und bei der Zusammenarbeit mit Industriepartnern rangiert das DZNE auf den vorderen Plätzen. Durch enge Zusammenarbeit mit Universitäten und Universitätskliniken wurde die erste Nationale Klinische Forschungsplattform geschaffen, die neue Medikamente in klinischen Studien testen kann. Die Rheinland Studie des DZNE untersucht altersbedingte Risiken für Demenz und andere Krankheiten in der Bevölkerung. Der Bereich Versorgungsforschung des DZNE hat bereits Maßnahmen für einen besseren Umgang und eine bessere Versorgung von Demenzkranken in die Gesetzgebung eingebracht. Das DZNE hat frühe Erkrankungsmerkmale entdeckt, die eine Diagnose bis zu 16 Jahre vor der Manifestation der Krankheit ermöglichen. Aus der DZNE-Grundlagenforschung wurden und werden neue, potenziell wirksame Medikamente entwickelt. Das DZNE hat an seinen Standorten hochgradig charakterisierte Patientenkohorten aufgestellt, um Beobachtungsstudien und klinische Studien auf Basis von Präzisionsmedizin durchzuführen. Darüber hinaus ist das DZNE maßgeblich an der Forschung zur Entwicklung revolutionärer Computerarchitekturen wie Memory-Driven-Computing oder KI-Methoden wie Swarm-Learning beteiligt, die genomische und andere datenintensive Forschung auf ein neues Niveau heben und personalisierte Medizin greifbar machen.

Mit den bestehenden Ressourcen führt das DZNE allerdings einen aussichtslosen Kampf. Große Pharmakonzerne haben sich weitgehend aus der Entwicklung neuer Alzheimer-Medikamente zurückgezogen, weil diese aus ihrer Sicht zu kostspielig ist. Klinische Studien, basierend auf den Entwicklungen der letzten 10 Jahre, wurden zwar fortgeführt, blieben aber erfolglos. Das DZNE hat daher eine eigene Pipeline mit neuen potenziellen Medikamenten entwickelt, die auf ihre Überprüfung in klinischen Studien warten. Letztere sind allerdings kostspielig und mit den derzeitigen Mitteln des DZNE nicht zu realisieren. Es ist durchaus bemerkenswert, dass im G7-Dokument zu Demenz aus dem Jahr 2013 eine deutliche Erhöhung der Forschungsmittel für Demenz zugesagt wurde, aber bis heute die USA das einzige Land sind, das das Forschungsbudget für Demenz wesentlich erhöht hat. Die US-Finanzierung für die Demenzforschung hat sich seit 2013 versiebenfacht und wird im Jahr 2021 3,1 Milliarden Dollar erreichen. Im Vergleich dazu verfügt das DZNE über ein Kernbudget von knapp 90 Mio. Euro pro Jahr – also pro Patient nur etwa 1/10 der Forschungsausgaben in den USA. Dem gegenüber stehen in Deutschland aber Pflegekosten in Höhe von 44.600 Euro jährlich pro Patient. 

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