PELI-D III - Präferenzen im pflegerischen Kontext von älteren Spätausiedler:innen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion mit Pflegebedarf in der Häuslichkeit in NRW
Projektübersicht
Projektlaufzeit: | 2022-2026 |
Projektfinanzierung: | DZNE |
Projektleitung: | Prof. Dr. Martina Roes |
Projektkoordination: | Viktoria Peters-Nehrenheim |
Kooperationspartner: |
Hintergrund
Schätzungen zufolge gab es im Jahr 2020 weltweit rund 281 Millionen internationale Migranten, insgesamt waren etwa 3,6 Prozent der Weltbevölkerung und 33,7 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund 65 Jahre und älter. In Deutschland leben im Jahr 2022 insgesamt 22,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Insbesondere für Menschen mit einem Migrationshintergrund, also Menschen, die nicht mehr in ihrem Geburtsland leben, ist der Zugang zu pflegerischen und medizinischen Informationen, ärztlicher Betreuung und unterschiedlichen Versorgungsangeboten, insbesondere aufgrund von sprachlichen Barrieren, kulturellen Unterschieden und fehlender nötiger Information, im Vergleich zu Einheimischen, erschwert.
Es zeigt sich, dass eine kultursensible medizinische und pflegerische Betreuung und mehrsprachige Informationsmaterialien bislang nicht standardisiert sind. In Zukunft wird die Zahl der pflegebedürftigen älteren Menschen wachsen. Im Hinblick auf den demografischen Wandel wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen mit Migrationshintergrund im Alter steigen.
Bis 2020 sind mehr als viereinhalb Millionen Menschen im Rahmen des (Spät-)Aussiedlerzuzugs nach Deutschland eingewandert.[1] Aus der Gruppe der Migranten in Deutschland richtet sich im geplanten Forschungsvorhaben der Blick auf die im Kontext der Pflege bisher eher gering repräsentierten Spätaussiedler:innen[2], die die zweitgrößte Migrantengruppe in der Bundesrepublik abbilden.
Das Wissen über individuelle Alltagspräferenzen älterer pflegebedürftiger Menschen bildet die Grundlage einer personenzentrierten Pflege, was zu einer Verbesserungen der allgemeinen Pflege beitragen kann sowie zur Aufrechterhaltung der Lebensqualität älterer Menschen. Personenzentrierte Pflege kann als eine Pflege definiert werden, welche die individuellen Präferenzen, Bedürfnisse und Werte respektiert und auf diese eingeht, sodass sie einen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden und die Zufriedenheit der Person mit der Pflege ausübt.
Es ist nur wenig über die Präferenzen im Kontext der Pflege älterer Spätaussiedler:innen aus den Staaten der ehemaligen Sowjet Union bekannt. Die mangelnde Vertrautheit mit dem Gesundheitssystem, unterschiedliche Wahrnehmungen, kulturelle und sprachliche Barrieren führen häufig zu einer geringeren Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten, und unbekannte Pflegepräferenzen behindern oder können gar verhindern, dass eine personenzentrierte Pflege stattfindet [30].
Im Rahmen einer Pilotstudie, die sich mit der Übersetzung und psychometrischen Testung eines Instruments zur Bewertung der Präferenzen für das Alltagsleben älterer Menschen in verschiedenen Pflegesettings befasste, wurde deutlich, dass Migranten und Menschen aus ethnischen Minderheitengruppen aus der Perspektive der Empfänger von Pflegeleistungen für ältere Menschen in dem Forschungsvorhaben nicht berücksichtigt wurden. Eine explorative Literaturrecherche zeigte, dass ein systematischer Überblick über die derzeit beschriebenen Pflegepräferenzen älterer Migranten und ethnischer Minderheiten nicht gegeben ist und insbesondere ist aufgefallen, dass in den bereits existierenden Studien zu Pflegepräferenz unterschiedler Migrantengruppen, die Spätaussiedler:innen aus den ehemaligen Staaten der Sowjet Union, nicht untersucht worden sind.
Für die systematische Erfassung von Präferenzen bezogen auf die pflegerische Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund und ethnischen Minderheiten, insbesondere für Spätaussiedler:innen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, existieren für die Professionellen im Gesundheitswesen bisher keine Instrumente, die unterschiedliche thematische Schwerpunkte der respektiven pflegerischen Settings fokussieren. In unterschiedlichen Studien werden Präferenzen bezogen auf die pflegerische Versorgung von zuvor festgelegten Zielgruppen erfasst, einen Überblick über die bestehenden Präferenzen gibt es aber nicht.[3] Zudem scheint es derzeit keinen Überblick mit dem expliziten Fokus auf die Präferenzen im pflegerischen Kontext von älteren Spätaussiedler:innen mit Pflegebedarf zu existieren. Infolgedessen scheint unbekannt, welche Präferenzen bezogen auf die pflegerische Versorgung von älteren Spätaussiedler:innen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion mit Pflegebedarf bestehen, wie diese von ihnen kategorisiert und priorisiert werden und ob eine Erhebung von Präferenzen in Form eines Instrumentes möglich ist.
Ziel des Projekts
Das Ziel des geplanten Forschungsvorhabens ist es, Präferenzen bezogen auf die pflegerische Versorgung in der Häuslichkeit von älteren und pflegebedürftigen Spätaussiedler:innen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, die in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland, leben, zu identifizieren und zu strukturieren. Dabei geht es zu aller erste darum, die Präferenzen dieser Gruppe deskriptiv zu erfassen.
In einem weiteren Schritt geht es dabei, in einer Synthese systematisch zu überprüfen, inwiefern die identifizierten Daten mit dem bereits bestehenden Instrument PELI-D kompatibel sind und in welcher Weise eine Adaption möglich ist [34].
Zusammenfassend führt dies zu folgenden Forschungsfragen im Projekt:
- „Welche Präferenzen bezogen auf die pflegerische Versorgung von Menschen mit einem Migrationshintergrund werden in der Literatur beschrieben, kategorisiert und priorisiert?“
- „Welche Präferenzen bezogen auf die pflegerische Versorgung von älteren Spätaussiedler:innen aus den ehemaligen Staaten der Sowjetunion in der Häuslichkeit in NRW können identifiziert, kategorisiert und priorisiert werden?“
Vorgehensweise
Für das geplante Forschungsvorhaben wird das narrative Interview, mit Hilfe eines teilstrukturierten Leitfadens, gewählt. Dabei ist das Ziel, die biografischen Daten bzw. Lebensgeschichten der Befragten älteren Spätaussiedler:innen mit Pflegebedarf sowie ihren pflegenden Angehörigen, Experts by Experience, zu erfahren. Mit den Experts by Profession wird ein Experteninterview mithilfe eines halb-strukturierten Leitfadens geführt. Dabei wird bei einem Experteninterview mit den professionell Pflegenden erwartet, dass sie einen möglichst neutralen und breiten Blick auf das Geschehen haben.
Die Stichprobe der Teilnehmenden besteht aus:
- älteren Spätaussiedler:innen: 1. Generation[4], mit eigener Migrationserfahrung) mit Pflegebedarf in der Häuslichkeit;
- pflegenden Angehörigen von älteren Spätaussiedler:innen: Angehörige der Teilnehmenden älteren Spätaussiedler:innen oder Angehörige ohne familiäre Beziehung[5] zur interviewten Person; Angehörige mit oder ohne eigene Migrationserfahrung, sowie
- professionellen Pflegenden: Personen mit Migrationshintergrund mit oder ohne eigene Migrationserfahrung oder professionelle Pflegende, die Erfahrungen in der Pflege von pflegebedürftigen älteren Spätaussiedler:innen oder anderen Personen mit Migrationshintergrund haben [ohne selbst einen Migrationshintergrund zu haben], die über den pflegerischen Prozess und den damit einhergehenden Präferenzen berichten.
Die Stichprobe wird ausschließlich in NRW rekrutiert, da zum einen NRW das Bundesland mit der höchsten Anzahl an Spätaussiedler:innen – 731.000 Tausend im Jahrs 2020 – ist und zum anderen um mögliche Zugangsbarrieren aufgrund einer weiten Distanz zu minimieren.
Für die Stichprobe der Interviews ist es geplant, ca. 10-15 Spätaussiedler:innen (1.Generation) mit Pflegebedarf in der Häuslichkeit oder Tagespflege sowie ca. 10-15 Familienangehörige und Pflegende von Spätaussiedler:innen und ca. 10-15 professionelle Pfleger:innen einzuschließen.
Erwartete Ergebnisse
Folgende Ergebnisse sind zu erwarten:
- die Identifikation, Kategorisierung und Priorisierung von Präferenzen aus Sicht der Spätaussiedler:innen sowie der pflegenden Angehörigen und professionellen Pflegefachkräften bezogen auf die pflegerische Versorgung von Spätaussiedler:innen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion mit Pflegebedarf im Versorgungssetting der Häuslichkeit sowie Tagespflege;
- eine Synthese oder Modifikation mit dem bereits existierenden Instrument zur Erhebung von Pflegepräferenzen PELI-D zur systematischen Erhebung von Präferenzen bezogen auf die pflegerische Versorgung von Spätaussiedler:innen mit Pflegebedarf in der Häuslichkeit sowie Tagespflege.
Die Ergebnisse können perspektivisch genutzt werden, um Präferenzen im Bereich der pflegerischen Versorgung von älteren Spätaussiedler:innen mit Pflegebedarf systematisch identifizieren können. Darauf aufbauend könnten personen-zentrierte Angebote für die pflegerische Versorgung von Spätaussiedler:innen mit Pflegebedarf entwickelt werden. Dies würde für die Spätaussiedler:innen mit Pflegebedarf unter anderem mit einer Steigerung der Partizipation an angebotenen Aktivitäten einhergehen und somit zu einer Steigerung der Lebensqualität beziehungsweise Zufriedenheit aufgrund einer anhand der Pflegepräferenzen vollzogenen Versorgung führen.
Das geplante Forschungsvorhaben wird eine bestehende Forschungslücke schließen, da bisher keine Studien zu Präferenzen im pflegerischen Kontext realisiert wurden und der Bedarf ungedeckt bleibt. Deshalb kann die geplante Arbeit als erste Grundlage für weitere Forschungsprojekte mit dieser Zielgruppe bzw. zum Thema Präferenzen im Kontext von Pflege von Menschen mit Migrationshintergrund genutzt werden.
[1] Mit der 1. Generation sind diejenigen älteren (Spät-)Aussiedler gemeint, die in einem der ehemaligen Staaten der Sowjetunion geboren sind und eine eigene Migrationserfahrung in die Bundesrepublik im Rahmen des Vertriebenengesetzes (erste Fassung des Gesetzes vom 19. Mai 1953) aufweisen.
[2] Bis Ende 1992 hieß die Rechtskategorie zur Aufnahme von „deutschen Volkszugehörigen“ aus der (ehemaligen) Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten „Aussiedler“. Seit dem 1.1.1993 ist die korrekte Bezeichnung „Spätaussiedler“. Die Klammerform (Spät-)Aussiedler bringt zum Ausdruck, dass Russlanddeutsche in beide Kategorien fallen. Da die Mehrzahl der russlanddeutschen Zuwanderer in die Kategorie „Spätaussiedler“ fällt und dieser Begriff auch im allgemeinen Sprachgebrauch stark mit dieser Gruppe assoziiert ist [19. Panagiotidis J. Postsowjetische Migration in Deutschland: eine Einführung: Bundeszentrale für Politische Bildung; 2021.], werde ich im Weiteren von „Spätaussiedlern“ ohne Worttrennung durch die Klammer sprechen, wobei damit Aussiedler der früheren Phase ebenso gemeint sind wie Familienangehörige, die keinen eigenen Spätaussiedlerstatus erhielten.
[3] Scoping Review mit dem Titel: “Care Preferences of older migrants and minority ethnic groups with various care needs: a protocol for a scoping review” ist derzeit in der finale Ausarbeitung und wird demnächst beim Joarnal eingereicht.
[4] Es ist nicht zwingend notwendig, dass die Interviewten pflegenden Angehörigen in einer familiären Beziehung zu den bereits interviewten älteren pflegebedürftigen Spätaussiedler:innen stehen.
[5] Spätaussiedler:innen sind nach gesetzliche Definition des Bundesvertriebenengesetztes deutsche Volkszugehörige und sind „in Russland geborene [und dort lebende] ethnische Deutsche“, die die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und sich innerhalb von sechs Monaten in Deutschland niedergelassen haben. Der Begriff umfasst nicht nur die deutschstämmigen Bewohner Russlands, sondern auch der Ukraine, Kasachstans und anderer ehemaliger Sowjetrepubliken [18. Russlanddeutsche in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Anzahl und Altersstruktur, gesellschaftliche und politische Stellung (2022).] [3. Statistisches Bundesamt. Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus 2021. Statistisches Bundesamt 2021.].